Potenzielle Biowaffen

Unveränderter Text aus Heft 6, 2014

Aktualisiert 2020

 

Einteilung in Gefährdungsstufen

 

In Zeiten großer weltpolitisch bedeutsamer Konflikte wird das Thema Biowaffen in der wissenschaftlichen Literatur erneut thematisiert.1 Im Jahr 2001 war dieses Thema erstmals von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen worden. Damals  wurden in den USA Briefe mit Anthrax-Sporen von einem Mitarbeiter eines Militärlabors verschickt. In der Folge infizierten sich 19 Menschen, weitere fünf verstarben.2 Von den Centers for Disease Control werden über 180 Erreger als potenzielle Biowaffen aufgelistet und auf Grund ihrer Infektiosität, Virulenz, der öffentlichen Wahrnehmung sowie weiterer Kriterien in drei Kategorien eingeteilt. Die wichtigsten bakteriellen Erreger (Kategorie A) sind Bacillus anthracis (siehe Heft 6/2009), Yersinia pestisFrancisella tularensis (siehe Heft 3/2013) und Brucella spp. (siehe Heft 4/2009). In dieselbe Kategorie fallen Pockenviren oder Viren, welche ein hämorrhagisches Fieber hervorrufen können, wie z. B. das Ebola-Virus. Zur Kategorie A wird auch das Clostridium botulinum-Toxin gezählt. Zur Kategorie B gehören Spezies, welche über Lebensmittel verbreitet und aufgenommen werden, wie zum Beispiel Salmonella spp., Escherichia coli O157:H7, Shigellen oder Staphylococcus aureus.

 

Während der Aufwand für die Vermehrung von Viren oder Bakterien wie Chlamydia psittaci (siehe Heft 6/2011) oder Coxiella burnetii durch die Notwendigkeit einer Anzucht über Zellkulturen zumindest für größere Mengen sehr aufwendig ist, gilt dies nicht für die Mehrzahl der in Kategorie A gelisteten Bakterienarten. Zusätzlich sind diese Arten für eine Anzüchtung relativ leicht zugänglich. Andererseits ist es möglich, die hierdurch hervorgerufenen Erkrankungen antibiotisch zu behandeln oder auch über eine prophylaktische Gabe von Antibiotika zu verhüten. Darüber hinaus existieren teilweise auch Impfstoffe, die jedoch nur einer kleinen Gruppe von gefährdeten Personen zugänglich sein werden.

 

Prophylaxe und Therapie

 

Obwohl theoretisch die Möglichkeit besteht, dass Stämme verbreitet werden können, die gegen die unten genannten Antibiotika resistent sind, werden hier für die wichtigsten potenziellen Erreger bei bioterroristischen Angriffen die gegenwärtig empfohlenen Regime dargestellt.

 

Francisella tularensis

Es existiert eine Schutzimpfung (Lebendvaccine, US Army).3 Chemoprophylaxe über 14 Tage bei Erwachsenen (einschließlich Schwangere) und Kinder ≥ 45 kg  mit 2 x 500 mg/d Ciprofloxacin p.o. (CIPROBAY u. a.) oder 2 x 100 mg/d Doxycyclin p.o. (DOXYCYCLIN-RATIOPHARM u. a.); Kinder <45 kg erhalten 2 x 2,2 mg/kg Doxycyclin oder 2 x 15 mg/kg Ciprofloxacin (maximal 1,0 g/d).4 Beginn der Gabe möglichst rasch nach Exposition (<24h), ansonsten bei Fieberanstieg oder einer unspezifischen grippalen Erkrankung, wenn der Verdacht auf eine Exposition erst später gestellt wird. Therapieoptionen bei manifester Erkrankung sind Streptomycin (STREPTO FATOL u. a.) oder Gentamicin (REFOBACIN u. a.), Therapiedauer 10 Tage. In Europa wird überwiegend eine Therapie mit Ciprofloxacin p.o., i.v.5,6  oder Levofloxacin (TAVANIC u. a.) p.o., i.v. eingesetzt7,8; weitere Möglichkeiten sind Doxycyclin für 14 bis 21 Tage, alternativ Tigecyclin (TYGACIL).9,10 Bei Verdacht auf meningeale Beteiligung Kombination mit Chloramphenicol (in Deutschland nicht im Handel).11,12

 

Bacillus anthracis

Prävention durch Immunisierung (BIOTHRAX: Emergent BioDefense Corporation, Lansing, Michigan, USA; www.emergentbiosolutions.com). Nach Exposition Chemoprophylaxe bei Erwachsenen mit 2 x 500 mg/d Ciprofloxacin p.o., auch in der Schwangerschaft oder 2 x 100 mg/d Doxycyclin  p.o., alternativ 2 x 750 mg/d Levofloxacin p.o., 400 mg/d Moxifloxacin (AVALOX) p.o. oder 3 x 600 mg/d Clindamycin (CLINDA SAAR u. a.) p.o.. Dauer bis zu 60 Tage (überlebende Sporen in den Makrophagen!). Therapie bei möglicher bzw. bestätigter Meningitis 3 x 400 mg/d Ciprofloxacin i.v. in Kombination mit 3 x 2,0 g/d Meropenem i.v. (MERONEM) plus 2 x 600 mg/d Linezolid (ZYVOXID) i.v., Therapiedauer 14 bis 21 Tage. Bei Erkrankungen ohne ZNS-Beteiligung Gabe von 3 x 400 mg/d Ciprofloxacin plus 3 x 900 mg/d Clindamycin oder 2 x 600 mg/d Linezolid. Therapie des kutanen Anthrax 2 x 500 mg/d Ciprofloxacin p.o. oder 2 x 100 mg/d Doxycyclin für 7 bis 10 Tage. Bei allen Erkrankungen, die durch einen bioterroristischen Anschlag (Aufnahme über Aerosole)  entstehen, ist nach Abschluss der initialen Therapie eine weitere orale Gabe wie bei einer Postexpositionsprophylaxe  bis zu insgesamt 60 Tage notwendig.13 Wenn Penicillin G als wirksam getestet wurde, kann auch dieses verabreicht werden.14 Kinder (< 40 kg) erhalten 3 x 15 mg/kg KG/d  Amoxicillin (AMOXIHEXAL u. a.)15 oder 2 x 15 mg/kg KG/d Ciprofloxacin (maximal 1,0 g/d) oder Doxycyclin > 8 Jahre und > 45 kg 2 x 100 mg/d; > 8 Jahre und <= 45 kg 2 x 2,2 mg/kg KG/d; <= 8 Jahre: 2 x 2,2 mg/kg KG/d16.

 

Brucella spp.

Die primäre Therapie besteht in der Gabe von 2 x 100 mg/d Doxycyclin plus 600 bis 1200 mg/d Rifampicin (EREMFAT u. a.) für sechs Wochen; nach gegenwärtiger Datenlage wird eine Gabe von Chinolonen nicht empfohlen, da Therapieversager relativ häufig sind.17,18

 

Yersinia pestis

Prophylaxe bei Infektion über ein Aerosol so schnell wie möglich (Inkubationszeit ein bis sechs Tage), Therapiebeginn innerhalb von 24 Stunden nach den ersten Symptomen. Prophylaxe mit 2 x 500 mg/d Ciprofloxacin oder 2 x 100 mg/d Doxycyclin, Dauer wenigstens sieben Tage. Therapie mit Streptomycin  oder Gentamicin, bei Meningitis Gabe von Chloramphenicol.19

 

ZUSAMMENFASSUNG: Bei Verdacht auf oder bei einem tatsächlichen bioterroristischen Anschlag sollte den exponierten Personen eine Prophylaxe angeboten werden. Unabhängig vom Alter bzw. einer Schwangerschaft bietet bei noch unbekanntem Erreger die Gabe von Doxycyclin bzw. von Ciprofloxacin den größten Schutz vor der Manifestation einer Erkrankung.

 

Meldepflicht, Vorgehen im Verdachtsfall

 

Bacillus anthracis, Yersinia pestis: Es besteht eine namentliche Meldepflicht nach §6 bzw. §7 IfSG.

 

Francisella tularensisBrucella spp.: namentliche Meldepflicht nach §7 IfSG.

 

Es ist in jedem Fall bei Verdacht auf einen bioterroristischen Anschlag notwendig, die zuständigen Gesundheitsbehörden umgehend zu informieren. Weitere Informationen und Maßnahmen zum Schutz vor gefährlichen biologischen Agenzien in Poststellen und beim Umgang mit Poststücken in Abhängigkeit von der Gefährdungslage, zur Probenentnahme sowie zum Probenversand stehen auf der Internetseite des Robert-Koch-Instituts zur Verfügung:

 

http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Biosicherheit/Poststellen/Poststellen.pdf

 

http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Biosicherheit/Probentransport/Probentransport_node.html

 

 

Literatur

 

  1. GREUB, G., GROBUSCH, M. P. Bioterrorism: myth or reality? Clin Microbiol Infect 2014; 20:485-7
     
  2. INGLESBY, T. V. et al. Anthrax as a biological weapon, 2002: updated recommendations for management. JAMA 2002 287:2236-2252
     
  3. SANDSTRÖM, G. The tularaemia vaccine. J Chem Tech Biotech 1994; 59:315-20
     
  4. DENNIS, D. T. et al. Tularemia as a biological weapon: medical and public health management. J American Med Association 2001; 285:2763-1773
     
  5. BELLIDO-CASADO, J. et al. Report on five cases of tularaemic pneumonia in a tularaemia outbreak in Spain. Eur J Clin Microbiol Infect Dis 2000; 19:218-220
     
  6. PEREZ-CASTRILLON, J. L. et al. Tularemia epidemic in northwestern Spain: clinical description and therapeutic response. Clin Infect Dis 2001; 33:573-6
     
  7. ARANDA, E. A. Treatment of tularemia with levofloxacin Clin Microbiol Infect 2001; 7:67-8
     
  8. KILIÇ, S. et al.  In vitro susceptibility of isolates of Francisella tularensis from Turkey Scand J Infect Dis 2013; 45:337-41
     
  9. ULU KILIÇ, A. et al. In Vitro Activity of Tigecycline Against Francisella tularensis Subsp. holarctica in Comparison with Doxycycline, Ciprofloxacin and Aminoglycosides [Article in Turkish Mikrobiyol Bul 2013; 47:189-91
     
  10. KREIZINGER, Z. et al. Antimicrobial susceptibility of Francisella tularensis subsp. holarctica strains from Hungary, Central Europe. J Antimicrob Chemother 2013; 68:370-3
     
  11. HOFINGER, D. M. et al. Tularemic meningitis in the United States Arch Neurol 2009; 66:523-7
     
  12. HUTTON, J. P., EVERETT, E. D. Response of tularemic meningitis to antimicrobial therapy South Med J 1985; 78:189-90
     
  13. HENDRICKS, K. A. et al. Centers for disease control and prevention expert panel meetings on prevention and treatment of anthrax in adults Emerg Infect Dis, 2014: doi: 10.3201/eid2002.130687
     
  14. STERN, E. J. et al. Conference report on public health and clinical guidelines for anthrax Emerg Infect Dis, 2008; 14: pii: 07-0969
     
  15. ALEXANDER, J. J. et al. Amoxicillin for postexposure inhalational anthrax in pediatrics: rationale for dosing recommendations. Pediatr Infect Dis J 2008; 27:955-7
     
  16. INGLESBY, T. V. et al. Anthrax as a biological weapon, 2002: updated recommendations for management. JAMA 2002; 287: 2236-52
     
  17. SKALSKY, K. et al. Treatment of human brucellosis: systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. BMJ 2008; 336:701-4
     
  18. PAPPAS, G. et al. Quinolones for brucellosis: treating old diseases with new drugs. Clin Microbiol Infect 2006; 12:823-5
     
  19. LOUIE, A. et al. Comparative efficacies of candidate antibiotics against Yersinia pestis in an in vitro pharmacodynamic model. Antimicrob Agents Chemother 2011; 55:2623-8

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