Francisella tularensis (Pasteurella tularensis)                               Krankheitsbild „Hasenpest“

unveränderter Text aus Heft 3, 2013

Ergänzungen am Ende des Textes

 

Taxonomie, Morphologie und Kultur

 

Francisella tularensis ist ein gramnegatives kurzes Stäbchenbakterium, benannt nach Edward Francis und dem Tulare County (Ca., USA) und einziges Mitglied der Familie Francisellaceae. Es sind bis heute fünf Subtypen beschrieben: subsp. tularensis (Jellison Typ A), subsp. holarctica (Jellison Typ B), subsp. mediaasiatica, subsp. novicida, subsp. philomiragia, wobei nur die beiden erstgenannten Subtypen Infektionen beim Menschen hervorrufen. Eine Kultur auf speziellen Nährmedien ist möglich, das Wachstum ist verzögert, d.h. die Bebrütungszeit muss verlängert werden.

 

Pathogenese, Epidemiologie und ausgewählte Krankheitsbilder

 

F. tularensis dringt in Körperzellen einschließlich Makrophagen ein und persistiert dort. Produkte des sogenannten „Francisella pathogenic island“ tragen direkt oder indirekt zur Virulenz des Erregers bei. Zusätzlich spielen saure Phosphatasen eine Schlüsselrolle in der Pathogenese [1]. Erregerreservoire sind die unbelebte Umwelt (z.B. langes Überleben im Wasser), Nagetiere wie Hasen - daher auch der Name der Erkrankung „Hasenpest“ - Hirsche, Rehe und ganz besonders Zecken (bis zu 3,5% positiv) [2, 3, 4], Stechmücken, Flöhe und Bremsen. Die Übertragung der Erreger auf den Menschen kann auf vielfältige Weise erfolgen: Inhalation von erregerhaltigem Material z.B. beim Rasenmähen [5], Verarbeitung von Wildtieren, Verzehr von kontaminiertem Wildfleisch [6], Früchten (z.B. Erdbeeren) sowie Wasser. Die Übertragung von Mensch zu Mensch ist von untergeordneter Bedeutung, jedoch möglich (z.B. über Ulcus der Haut). Durch die hohe Virulenz reicht schon eine sehr niedrige Erregerzahl aus, um eine Infektion insbesondere inhalativ hervorzurufen (Biowaffe!). Wesentlich ist, bei entsprechend disponierten Personen (bes. Jäger, Forstpersonal, Verarbeitung von Wildfleisch, Präparatoren, Tätigkeit in der Landwirtschaft) an eine Tularämie zu denken. In Europa kommt die Erkrankung in Russland, Finnland, Norwegen, der Türkei und Spanien vor [7]. Tularämie-Ausbrüche im August 1999 bis April 2000 mit etwa 700 erkrankten Personen, sowie im November 2001 mit ca. 500 Fällen wurden aus dem Kosovo (Region um Priština) gemeldet; Erkrankungsfälle gab es aber auch in Österreich und in der Schweiz [8, 9].

In Deutschland wurden in den vergangenen Jahren nach dem IfSG jeweils zwischen 20 und 30 Fälle angezeigt, möglicherweise besteht eine nicht unerhebliche Dunkelziffer an Erkrankungen, da differentialdiagnostisch selten an die Möglichkeit einer Tularämie gedacht wird. Die Inkubationszeit beträgt zwei bis sechs (1 bis 21) Tage. Das klinische Bild ist variabel, die Erkrankung beginnt jedoch abrupt mit Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerz, Krankheitsgefühl, Anorexie, Müdigkeit. Wichtig ist die ulcero-glanduläre Form mit einer Papel an der Inokulationsstelle (gewöhnlich Finger oder Hand); die Papel wird sehr schmerzhaft, schwillt an und ulzeriert (DD Bacillus anthracis), die regionalen Lymphknoten (DD Pest) sind geschwollen. Bei einigen Patienten ist eine Rhabdomyolyse zu beobachten (Typ B Tularämie, F. tularensis subsp. holarctica).

Eine Primärläsion fehlt bei der glandulären Tularämie. Gelegentlich ist die okulo-glanduläre Form der Erkrankung mit der Eintrittspforte Auge (Konjunktivitis) zu beobachten. Eine seltene, aber sehr schwer verlaufende Form ist die typhoide Tularämie (Sepsis), bei der die Lymphknoten nicht geschwollen sind. Eine Infiltration des Knochenmarks mit Granulombildung wird beobachtet.

Weitere klinische Formen sind Pharyngitis mit zervikaler Lymphknotenschwellung (z.B. nach oraler Aufnahme der Erreger) sowie Pneumonie (in ca. 10 bis 20% der Fälle, Infektionsdosis 10 bis 50 Keime!), die klinisch als sogenannte „atypische Pneumonie“ imponiert; Symptome sind Kopfschmerz, Halsschmerzen, Myalgien, Übelkeit sowie bihiläre Lymphadenopathie. Bei 60 bis 80% der Patienten mit Pneumonie findet sich ein exsudativer Pleuraerguss mit Lymphozyten und Neutrophilen. Die Letalität einer Pneumonie bzw. Sepsis durch F. tularensis ist bei unbehandelten Personen mit 30 bis 60% hoch (überwiegend Jellison Typ A Tularämie, Nordamerika, F. tularensis subsp. tularensis). Die in Europa auftretenden Infektionen werden überwiegend durch F. tularensis subsp. holarctica (Jellison Typ B) verursacht, der Erkrankungsverlauf ist leichter und die Letalität geringer. Begleitend zu den verschiedenen Erkrankungsformen tritt eine Diarrhö auf.

 

Diagnostik

 

Die primäre Diagnostik der Erkrankung erfolgt über den Antikörpernachweis (Hämagglutination, ELISA). Ein Erregernachweis gelingt auch durch eine PCR; die gezielte Kultur soll nur in speziellen Laboratorien erfolgen. Material zum Erregernachweis sind Gewebe, Ulkusabstriche, Lymphknotenmaterial, BAL sowie Blutkulturen.

 

Prävention, Therapie, Meldepflicht

 

Die Prävention erfolgt durch Expositionsprophylaxe (z.B. Schutzkleidung, Handschuhe, HEPA-Feinstaubmasken), Vorsicht bei Umgang mit Wild, Zeckenschutz sowie Durchgaren von Lebensmitteln, besonders von Wild. Es existiert eine Schutzimpfung (Lebendvaccine, US Army [10], neue Impfstoffe sind in Entwicklung [11]). Eine Chemoprophylaxe sollte mit Ciprofloxacin (CIPROBAY u.a.) oder Doxycyclin (diverse Präparate) möglichst rasch nach der Exposition (<24 h) erfolgen, ansonsten bei Fieberanstieg oder unspezifischen grippalen Symptomen, wenn der Verdacht auf eine Exposition erst später gestellt wird. Therapieoptionen sind Streptomycin (STREPTOMYCIN u.a.) oder Gentamicin (REFOBACIN u.a.) (Therapiedauer sieben bis zehn Tage), in Europa wird überwiegend eine Therapie mit Ciprofloxacin (CIPROBAY u.a.) oder Levofloxacin (TAVANIC u.a.) intravenös oder oral eingesetzt [7, 12, 13, 14]; Gesamttherapiedauer 14 bis 21 Tage. Weitere Möglichkeiten sind Doxycyclin für 14-21 Tage, alternativ Tigecyclin (TYGACIL) [15, 16]. Bei Verdacht auf meningeale Beteiligung Kombination mit Chloramphenicol (in Deutschland nicht im Handel) [17, 18].

Es besteht eine Meldepflicht nach IfSG §7 bzw. §6, Absatz 5.

 

 

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Ergänzung 2021

 

Die Anzahl der übermittelten Erkrankungen hat in Deutschland in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Während es in den Jahren 2012 bis 2014 etwa 20 Fälle pro Jahr waren, wurden 2019 insgesamt 72 Erkrankungen übermittelt, davon mehr als die Hälfte aus Bayern und Baden-Württemberg.

 

Weitere Informationen finden Sie auf der Internetseite des RKI:

 

RKI, Infektionsepidemiologisches Jahrbuch 2019

 

RKI-Ratgeber Tularämie

 

 

 

 

 

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