Borrelia burgdorferi sensu lato (sl)

 (aus ZCT 6-2010)

 

 

 

Taxonomie, Morphologie und Kultur

 

B.burgdorferi sl (insgesamt 12 Spezies) zählt zur GattungBorrelia, Familie Spirochaetaceae. Nach heutigem Wissensstand sind vier Arten humanpathogen: B.burgdorferisensu strictu (ss), B.gariniiB.afzelii und B.spielmanii. Es handelt sich um gramnegative gewundene Bakterien; eine Kultur der Bakterien ist in speziellen Medien möglich. Vermutlich spielt der Übergang in spirochätale Rundkörper für das Überleben im Gewebe eine wesentliche Rolle.1

 

 

Epidemiologie

 

Borrelien kommen in der nördlichen Hemisphäre vor und sind  in allen deutschen Regionen verbreitet. Die Übertragung der Erreger erfolgt durch Zeckenbiss (Ixodes ricinus, vulgo Holzbock). Erregerreservoire sind kleine Nagetiere, Vögel, Rehe und Hirsche. Adulte Zecken sind zu ca. 20%, Nymphen zu 10 bis 20% und Larven zu ca. 1% infiziert. Die Zeit der Zeckenaktivität ist in Abhängigkeit von der Witterung etwa von März bis Oktober. Etwa 1,5 bis 6% der Personen mit Zeckenbiss zeigen eine Serokonversion (Infektion), bei 0,3 bis 1,4% ist mit einer manifesten Erkrankung zu rechnen. Nach Kontakt mit infizierten Zecken entwickelt sich eine Serokonversion in 20 bis 30% der Fälle. In den östlichen Bundesländern einschließlich Berlin ist die Zahl gemeldeter Neuinfektionen bis 2006 mit 6241 Infektionen angestiegen, in den folgenden Jahren wieder leicht gesunken. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist nicht bekannt, auch nicht während der Schwangerschaft oder durch Muttermilch.2

 

 

Pathogenese, Krankheitsbild

 

Die Übertragung der Erreger erfolgt im späten Saugakt nach 24 bis 48h. Nach dem Eindringen in die Blutbahn zeigen die Erreger einen Tropismus, betroffen sind in erster Linie Haut, Myokard, Synovia und Nervengewebe. Der Name Lyme-Borreliose leitet sich vom Ort Lyme in Connecticut (USA) her. Ähnlich wie bei der Lues kann der Krankheitsverlauf in drei sich überschneidende Stadien unterteilt werden, wobei eine Remission in jedem der Stadien möglich ist. 

Stadium I (nach wenigen Wochen und Monaten):  Erythema (chronicum) migrans der Haut. Beginn z.T. mit einer initialen Papel und gefolgt von einem scharf abgegrenzten schmerzlosen, nicht juckenden Erythem, welches sich zentrifugal ausbreitet und in der Mitte abblasst. Teilweise uncharakteristische Symptome wie Fieber, Kopfschmerz (Meningismus), Myalgien, Arthralgien, Lympknotenschwellungen und Konjunktivitis. Antikörper sind bei 20 bis 50% der Patienten nachweisbar. Frühe Neuroborreliose mit Fazialisparese, lymphozytärer Meningitis (überwiegend Manifestation als Kopfschmerz, auch Photophobie, Übelkeit, Erbrechen; Letalität 0,6%; vor allem bei Kindern zwischen 5 und 15 Jahren), Enzephalitis, Radikulitis.

Stadium II (nach Wochen und Monaten): Garin-Bujadoux-Bannwarth-Syndrom (lymphozytäre Meningoradikulitis) mit brennenden radikulären Schmerzen, asymmetrischen und unsystematisch verteilten schlaffen Lähmungen, häufig kombiniert mit sensiblen Ausfällen, die Wochen bis Monate andauern können. Hirnnerven sind betroffen, überwiegend bestehen ein- oder beidseitige Fazialisparesen. In seltenen Fällen resultiert bei einer Beteiligung des N.opticus auch Blindheit.3 An der Haut kommt es in seltenen Fällen zur Manifestation als Borrelien-Lymphozytom (Lymphadenosis cutis benigna Bäfverstedt) in Form eines rötlichlividen Tumors (Ohrläppchen, Mamillen oder Scrotum). Manifestationen können am Herzen als Myo-, Peri- und Pankarditis auftreten, AV-Überleitungsstörungen bis hin zum kompletten Block sowie ST-T-Veränderungen, Vorhofflimmern, ventrikuläre Extrasystolen, Tachykardie, Einschränkung der Ventrikelfunktion bis hin zur Herzinsuffizienz sind möglich. Antikörper sind bei 70 bis 90% der Patienten nachweisbar.

Stadium III (Monate bis Jahre): Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA) Herxheimer mit Atrophie der Haut („zigarettenpapierdünn“), Antikörper sind nicht bei allen Patienten nachweisbar.4 Die Lyme-Arthritis ist eine schubweise oder auch chronisch verlaufende mono- oder oligoartikuläre Erkrankung, betroffen sind Sprunggelenke, Ellenbogen-, Finger-, Zehen- und Handwurzelgelenke sowie auch Kiefergelenke. In  seltenen Fällen manifestiert sich die Infektion in Form einer chronischen Enzephalomyelitis mit Para- und Tetraparesen. Antikörper sind bei 90 bis 100% der Betroffenen nachweisbar, in der Regel nur IgG.

Eine Beteiligung der Augen ist in allen drei Stadien in Form einer Uveitis oder einer Neuritis optica beschrieben.5 Heftig umstritten ist die Existenz eines so genannten „Post-Borreliose-Syndroms“.

 

 

Diagnostik

 

Bei typischen Manifestationen (Haut, neurologische Symptome, Herz, Gelenke) stellt sich primär die Differentialdiagnose einer Borreliose, welche durch einen Antikörpernachweis (Serum, Liquor bzw. Serum-Liquor-Paar zur Bestimmung der autochthonen Produktion spezifischer Antikörper im Liquor) abgesichert wird. Es ist jedoch zu bedenken, dass eine negative Serologie nicht immer eine Borreliose ausschließt. Als Suchtest wird ein ELISA trotz geringerer Sensitivität empfohlen, der Immunoblot als Bestätigungstest. Die Anzüchtung der Erreger (Liquor, Hautbiopsie) ist zwar möglich, jedoch zeitaufwendig und Speziallaboratorien vorbehalten. Eine Alternative stellen Nukleinsäureamplifikationsmethoden (z.B. PCR) dar, besonders geeignet ist die Untersuchung von Gelenkpunktaten bzw.  Synovialbiopsien, da dort offensichtlich nicht kultivierbare Borrelien auch nach Therapie überleben können.6 Gleiches gilt für Endomyokardbiopsien bei Patienten mit neu aufgetretener dilatativer Kardiomyopathie.7

 

 

Prävention, Therapie, Meldepflicht

 

Prävention durch Expositionsprophylaxe, nach entsprechender Exposition sollte der Körper nach Zecken abgesucht werden, je früher entfernt, desto geringer ist das Übertragungsrisiko. Eine Impfung steht nicht zur Verfügung.  

Entscheidend ist eine frühe Diagnose und nachfolgende Therapie8 mit Doxycyclin (DOXYHEXAL u.a.) über 10 bis 21 Tage.9 Alternativ kann Amoxicillin (AMOXICILLIN-RATIOPHARM u.a.) verabreicht werden. In späteren Krankheitsstadien, bei kardialer Beteiligung, bei länger bestehender Arthritis sowie neurologischen Symptomen ist eine Therapie mit Ceftriaxon (ROCEPHIN u.a.) über drei Wochen angezeigt, eine zusätzliche nachfolgende orale Therapie mit Amoxicillin über weitere 100 Tage führt zu keinem besseren Therapieerfolg.10 Alternativ zu Doxycyclin könnte in therapierefraktären Fällen die Gabe von Tigecyclin (TYGACIL) mit Wirkung auf die spirochätalen Rundkörper versucht werden. Bei therapierefraktärer Arthritis und negativer PCR wird die Gabe von nichtsteroidalen Antiphlogistika evtl. in Kombination mit Hydroxychloroquin (QUENSYL) empfohlen.11 In endemischen Gebieten kann die prophylaktische Gabe von Antibiotika nach Zeckenbiss sinnvoll sein.12

Eine Meldepflicht besteht nur in einigen Bundesländern

 

 

1. BRORSON, Ø. et al.PNAS 2009; 106: 18656-18661

 

2. MYLONAS, I.Vector Borne Zoonotic Dis 2010 (Epub ahead of print)

 

3.ROTHERMEL, H. et al.Pediatrics 2001; 108: 477-481

 

4.BERGER, T.G. et al.Eur J Clin Microbiol Infect Dis 2003; 22: 392-395

 

5.HILDENBRAND, P. et al.Am J Neuroradiol 2009; 30: 1079-1087

 

6. YRJÄNÄINEN, H. et al.APMIS 2010; 118: 665-673

 

7.PALECEK, T. et al.Med Microbiol Immunol 2010; 199: 139-143

 

8.  WORMSER, G.P. et al.Clin Infect Dis 2006; 43: 1089-1134

 

9. KOWALSKI, T.J. et al.Clin Infect Dis 2010; 50: 512-20

 

10.OKSI, J. et al.Eur J Clin Microbiol Infect Dis 2007; 26: 571-581

 

11.STEERE, A.C., ANGELIS, S.M.Arthritis Rheumatism 2006; 54: 3079-3086

 

12.WARSHAFSKY, S. et al.J Antimicrob Chemother 2010; 65: 1137-1144

 

 

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