Zalcitabin

ein weiteres Nukleosiderivat zur Behandlung der HIV-Infektion

Unveränderter Text aus ZCT Heft 3, 1994
Aktuelle Ergänzungen am Ende des Textes


Mit Zalcitabin (HIVID) steht ein weiteres Virustatikum aus der Gruppe der Nukleosid-Analoga zur Therapie der HIV-Infektion zur Verfügung. Alle drei heute verfügbaren Substanzen sind nach dem gleichen Prinzip synthetisiert worden: durch Ersatz der physiologisch wichtigen Hydroxylgruppe in der 3-Position an der Desoxyribose wurden Derivate geschaffen, die die reguläre DNA-Synthese hemmen1. Während bei Zidovudin (= AZT, RETROVIR) diese OH-Gruppe durch eine Azidogruppe ersetzt wurde, ist sie in dem neuen Derivat - ähnlich wie bei Didanosin (VIDEX) - durch ein Wasserstoffatom ersetzt worden.

 

Strukturformel Zalcitabin

Alle drei Substanzen verhalten sich im Organismus ähnlich: nach Umwandlung in die entsprechenden Triphosphate werden sie in die DNA eingebaut und führen (wegen der fehlenden Hydroxylgruppe) zum Kettenabbruch. Darüber hinaus werden entscheidende Enzyme der viralen DNA-Synthese (reverse Transkriptase) gehemmt. Da die Wirkungen mit einer gewissen Selektivität bevorzugt in den Virus-infizierten Zellen ablaufen, können sie therapeutisch als Virustatika benutzt werden.

 


Antivirale Aktivität


Innerhalb dieser Gruppe besitzt Zalcitabin die höchste Aktivität gegen HI-Viren, doch bereitet ein genauer Vergleich der in vitro Aktivitäten der Substanzen Schwierigkeiten, da die Hemmwirkungen auf die Viren in Zellkultursystemen durch zahlreiche (nicht standardisierte) Faktoren beeinflußt werden. Die Möglichkeit der Entwicklung Zalcitabin-resistenter Viren wurde bis jetzt nicht hinreichend untersucht. Wie die Erfahrungen mit Zidovudin zeigen, können im Prinzip resistente Viren Infektionen bei immunsupprimierten und auch bei immunkompetenten Patienten verursachen (vgl. ZCT 15:5,1994).
 

 

Pharmakokinetik


Das neue Virustatikum ist im Rahmen von pharmakokinetischen Untersuchungen sowohl intravenös als auch peroral verabreicht worden. Die mittlere Bioverfügbarkeit liegt bei über 80%, doch besteht eine erhebliche interindividuelle Variabilität. Bei gleichzeitiger Nahrungsaufnahme verringert sich die Resorptionsrate. Ein bis 2 Stunden nach oraler Gabe von 0,25 mg Zalcitabin / kg Körpergewicht wurden 0,5 bis 1,5 µmol (= 95 bis 316 µg/l) als Spitzenkonzentrationen im Plasma gemessen. Zalcitabin wird nur in sehr geringem Maße an Plasmaproteine gebunden (< 4%). Der Metabolismus der Substanz wurde bisher nicht umfassend untersucht. Es ist jedoch bekannt, daß etwa 70% einer oral verabreichten Dosis mit einer Halbwertzeit von etwa 2 Stunden unverändert über die Nieren ausgeschieden werden. Bei Patienten mit Nierenfunktionsstörungen muß von einer verzögerten Elimination ausgegangen werden. Nach den vorläufigen Ergebnissen werden im Liquor etwa 14 bis 20% der gleichzeitig gemessenen Serumspiegel erreicht.
 

 

Therapeutische Anwendung


Wie die Erfahrungen mit Zidovudin gezeigt haben, ist es schwierig, die genaue klinische Bedeutung eines Anti-HIV-Medikamentes zum Zeitpunkt der Einführung zu definieren. Informationen aus weiteren, groß angelegten Studien müssen abgewartet werden, bis klare Aussagen gemacht werden können. Die klinischen Erfahrungen lassen sich zur Zeit etwa folgendermaßen zusammenfassen: (1) Die Laborwerte (p24-Antigenämie, Anzahl der CD4-positiven Zellen), die üblicherweise benutzt werden, um die Wirkung dieser Medikamente zu objektivieren, zeigten auch nach Gabe von Zalcitabin günstige Veränderungen; (2) eine Gewichtszunahme und ein Nachlassen des Schwächegefühls war bei den Patienten ebenfalls feststellbar; (3) die günstigen Wirkungen waren vorübergehend, die Erkrankung wurde nicht geheilt, d. h. der Erreger wird nicht beseitigt, (4) bei einem erheblichen Teil der Patienten mußte die Behandlung abgebrochen werden, da das Arzneimittel schlecht vertragen wurde. Die übliche Dosierung beträgt 3 mal täglich 0,75 mg; beim Auftreten von unerwünschten Wirkungen oder in Kombination mit Zidovudin kann die halbe Dosis gegeben werden.
Als wichtige Indikation kann derzeit nur die Gabe an jene Patienten angesehen werden, die Zidovudin nicht vertragen oder bei denen die Behandlung mit Zidovudin nicht wirksam ist. Bei diesen Patienten ist Zalcitabin offenbar mindestens ebenso wirksam, wie Didanosin 2. Eine interessante Perspektive bietet die Möglichkeit der relativ niedrig dosierten Kombinationstherapie (oder alternierenden Gabe) von Zidovudin und Zalcitabin. Es können einerseits additive (oder sogar synergistische) Wirkungen auf die Erreger erwartet werden und andererseits eine bessere Verträglichkeit, weil beide Substanzen ein unterschiedliches Nebenwirkungsprofil besitzen.
 

 

Unerwünschte Wirkungen


Unerwünschte Wirkungen traten bei der Mehrzahl der AIDS-Patienten, die mit Zalcitabin behandelt wurden, auf. Unklar ist, inwieweit die fortgeschrittene Erkrankung zu einer schlechten Toleranz des Virustatikums beiträgt. Häufig mußte die Behandlung aus Verträglichkeitsgründen abgebrochen werden. Periphere Neuropathien (Schmerzen, Kribbeln, Taubheitsgefühl an Händen und Füßen), Übelkeit und Erbrechen sowie Haut- und Schleimhautveränderungen zählen mit zu den häufigsten Nebenwirkungen des Arzneimittels. Durchfall und Pankreatitis (Reaktionen, die nach Didanosin häufig auftreten oder schwerwiegend sein können) wurden dagegen nur selten beobachtet. Auch hämatotoxische Wirkungen standen nicht im Vordergrund der unerwünschten Wirkungen.
 

 

ZUSAMMENFASSUNG


Zalcitabin (HIVID) ist ein neues Virustatikum aus der Gruppe der Nukleosid-Analoga, das zur Therapie von Patienten mit HIV-Infektion zugelassen wurde. Das Präparat ist eine interessante Alternative, wenn das Standardmedikament Zidovudin (RETROVIR) nicht wirkt oder nicht vertragen wird. Bei etwa gleicher klinischer Wirksamkeit unterscheiden sich die Nebenwirkungsprofile der heute zur Verfügung stehenden Substanzen. Für alle derzeit verfügbaren "AIDS-Mittel" gilt, daß sie nicht zu einer Beseitigung der Infektion führen, sondern das Fortschreiten der Erkrankung nur um einige Monate verzögern. Sorgfältig durchgeführte, größere Studien sind daher erforderlich, um Nutzen und Risiko der Behandlung bei Patienten in unterschiedlichen Stadien der Erkrankung exakt zu definieren.

1. WHITTINGTON R, BROGDEN RN. Zalcitabine. A review of its pharmacology and clinical potential in acquired
    immunodeficiency syndrome (AIDS). Drugs. 1992 Oct;44(4):656-83.

2. ABRAMS DI, GOLDMAN AL et al. A comparative trial of didanosine or zalcitabine after treatment with
    zidovudine in patients with human immunodeficiency virus infection. The Terry Beirn Community Programs for
    Clinical Research on AIDS. N Engl J Med. 1994 Mar 10;330(10):657-62.

 

Hinweis: Aktuelle Informationen in englischer Sprache über geeignete Arzneimittel, Behandlungsrichtlinien, aktuelle klinische Studien und andere Aspekte der antiretroviralen Therapie finden Sie unter www.aidsinfo.nih.go

 

Aktuelle Ergänzungen (Oktober 2000)

Seit der Erstellung und Veröffentlichung dieses Artikels in der Zeitschrift für Chemotherapie (Heft 3, 1994) sind zahlreiche weitere Arbeiten über Zalcitabin publiziert worden. Insbesondere soll an dieser Stelle auf die folgenden Arbeiten hingewiesen werden:

1. ADKINS JC, PETERS DH et al. Zalcitabine. An update of its pharmacodynamic and pharmacokinetic properties
    and  clinical efficacy in the management of HIV infection. Drugs. 1997 Jun;53(6):1054-80.

2. CARPENTER CC, FISCHL MA et al. Antiretroviral therapy for HIV infection in 1998: updated
    recommendations of the  International AIDS Society-USA Panel.
    JAMA. 1998 Jul 1;280(1):78-86.
 

 

Aktuelle Ergänzungen (Januar 2007)

 

Zalcitabin ist in Deutschland seit 2006 nicht mehr

im Handel.

 

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