Unveränderter Text aus ZCT Heft 6, 1985
Aktuelle Ergänzungen am Ende des Textes
Vor zwei Jahren wurde mit Amoxicillin plus Clavulansäure (AUGMENTAN) zum ersten Mal in Deutschland eine Substanzkombination vorgestellt, in der ein ß-Laktam-Antibiotikum (Amoxicillin, CLAMOXYL,
AMOXI-TABLINEN u.a.) mit einem ß-Laktamaseinhibitor (Clavulansäure - als Monosubstanz nicht im Handel) kombiniert wurde (vgl. "ZCT" 3: 35-36, 1983).
Nun wurde Clavulansäure mit einem anderen breit wirksamen Penicillin, dem Ticarcillin (AERUGIPEN), zum BETABACTYL zusammengefaßt, ein Breitspektrum-Antibiotikum, das Mitte Oktober 1985 in Deutschland
von der Firma BEECHAM-WÜLFING / Neuss neu eingeführt wurde. Eine Ampulle dieses Medikamentes enthält in der Erwachsenen-Dosierung 1,6 g, 3,2 g bzw. 5,2 g Ticarcillin-Dinatrium und Clavulansäure -
Kalium (Mischungsverhältnisse 15 : 1 bzw. 25 : 1).
Wirkungsmechanismus
Der Angriffspunkt des Carboxy-Penicillins Ticarcillin ist die bakterielle Zellwandsynthese. Es hemmt die Transpeptidase, die im letzten Schritt der Murein-Synthese die Peptid-Seitenketten miteinander
verknüpft. Es besteht eine besondere Affinität zu Penicillin-bindenden Proteinen (PBP II). Einer der wesentlichen Mechanismen der Bakterien, sich vor der Wirkung von Penicillinen zu schützen, ist die
Bildung von ß-Laktamasen, die sowohl auf übertragbaren Plasmiden wie auch chromosomal codiert sein können.
Clavulansäure ist als irreversibler ß-Laktamasehemmer in der Lage, die klinisch wichtigsten ß-Laktamasen (Richmond-Klassen II-VI) schnell und wirkungsvoll zu hemmen.
Mikrobiologie
Clavulansäure hat in den klinisch relevanten Konzentrationen keine wesentliche eigene antibakterielle Aktivität. Daher umfaßt die neue Substanzkonzentration zunächst grundsätzlich das antimikrobielle
Spektrum von Ticarcillin. Dieses Spektrum beinhaltet im grampositiven Bereich Streptokokken, Pneumokokken, nicht Penicillinase-bildende Staphylokokken sowie im gramnegativen Bereich in
unterschiedlichem Umfang E. coli, Haemophilus influenzae, Klebsiella Spezies, Enterobacter Spezies, Citrobacter Spezies, Proteus Spezies, Providencia Spezies, Morganella morganii, Serratia marcescens
sowie in sehr variablem Umfang Pseudomonas Spezies. Auch bei anaeroben grampositiven Kokken sowie bei Bacteroides fragilis und Bacteroides melaninogenicus ist Ticarcillin in unterschiedlichem Maße
wirksam. Untersuchungen mehrerer Autoren1,2,3 ergaben, daß in der Kombination von 64 mg/l Ticarcillin plus 2 mg/l Clavulansäure deutliche Wirkungssteigerungen gegenüber der Ticarcillin-Einzelsubstanz
bei folgenden Bacteroides Spezies nachweisbar waren: Bacteroides fragilis, Citrobacter Spezies, Escherichia coli, Klebsiella pneumoniae, Klebsiella oxytoca, Providencia rettgeri, Providencia Spezies,
Pseudomonas maltophila, Serratia marcescens sowie bei Penicillinase-bildenden Staphylokokken.
In der beschriebenen Kombination konnten gegen die angeführten Keime durchweg über 90% der untersuchten Bakterienstämme gehemmt werden. Keine Effekte in der Kombination waren bei Citrobacter, bei
Enterobacter cloacae und bei Pseudomonas aeruginosa sowie Pseudomonas fluorescens zu erreichen. Ein weitgehend fehlender Inokulum-Effekt sowie ein nur geringer Unterschied zwischen MHK- und
MBK-Werten (1-2 Titerstufen) sprechen für eine hohe bakterizide Wirkung gegen viele der untersuchten Keime.
Pharmakokinetik
Sowohl Ticarcillin wie auch Clavulansäure zeigen nach intravenöser Gabe im Serum einen biphasischen Verlauf mit einer schnellen Distributions- und einer langsameren Eliminationsphase. Am Ende einer
Infusion von 5,2 g werden Serumkonzentrationen von 620 mg/l Ticarcillin und 23 mg/l Clavulansäure im Serum erreicht. Die Eliminationshalbwertzeit ist mit 84 Minuten für Ticarcillin und 76 Minuten für
den ß-Laktamaseinhibitor nicht unterschiedlich. Im 24-Stunden-Urin werden etwa 75% Ticarcillin unverändert ausgeschieden, jedoch nur ca. 50% der verabreichten Clavulansäure. Dies liegt sowohl an der
chemischen Instabilität des Inhibitors als auch an der Metabolisierung zu Hydroxybutanderivaten. Die unterschiedlichen Eliminationsmechanismen beider Substanzen spiegeln sich auch in der höheren
totalen und renalen Clearance der Clavulansäure (241 ml/min. gegen 116 ml/min. - totale Clearance - bzw. 107 ml/min. gegen 87 ml/min. - renale Clearance) wider.
Bei einem größeren Verteilungsvolumen der Clavulansäure steigt das initiale Verhältnis der beiden Partner von 25 : 1 auf über 50 : 1 nach vier Stunden an. Die Verteilung in dem Extrazellularraum ist
zufriedenstellend, was auch bei der geringen Proteinbindung (Ticarcillinsäure 45%, Clavulansäure 30%) erwartet werden kann. Eine Stunde nach Applikation werden in der Hautblasenflüssigkeit 58% der
Serumkonzentration von Ticarcillin und 77% der Serumkonzentration von Clavulansäure wiedergefunden. Zu bemerken ist, daß der ß-Laktamaseinhibitor kaum in den Liquor penetriert. Mit zunehmender
Niereninsuffizienz kommt es zu einer Verlängerung der Eliminationshalbwertzeit beider Substanzen. Dieser Effekt ist allerdings bei Ticarcillin um den Faktor 2,5 deutlicher ausgeprägt als bei dem
Kombinationspartner. Die Dosis muß entsprechend der Nierenfunktion angepaßt werden.
Klinik
Dei meisten Untersuchungen zu der Kombination wurden als offene, nicht kontrollierte Studien durchgeführt. Die Dosierung betrug zumeist 3-mal 5,2 g BETABACTYL. Die klinische Erfolgsrate lag bei
Infektionen des oberen wie unteren Respirationstraktes, der Harnwege, der Haut, der Knochen, des HNO-Bereichs und bei Septikämien über 90%. Die ätiologischen Erreger waren sowohl
ß-Laktamase-produzierende wie nicht-produzierende Enterobakterien und grampositive Keime. Auch bei chirurgischen Indikationen wie bei septischen Bauchoperationen im Bereich der Gallenblase und im
Bereich des Kolons ließen sich günstige klinische Erfolge dokumentieren. Hervorzuheben ist, daß eine Kombination von Tobramycin (GERNEBCIN) und BETABACTYL bei neutropenischen Patienten mit akuten
Leukosen in 75% eine klinische Besserung erreichte, was mit der Standardkombination Amikacin (BIKLIN) plus Azlocillin (SECUROPEN) vergleichbar war. Über sehr gute klinische Ergebnisse mit der
Kombination wurde auch bei intubierten Intensivpatienten mit schweren bronchopulmonalen Infektionen berichtet. Auch im pädiatrischen Bereich wurden ebenfalls günstige Ergebnisse insbesondere bei
Kindern mit Septikämien und nekrotisierenden Enterokolitiden mitgeteilt.
Als Indikation für die neue Kombination werden dementsprechend akute und chronische Infektionen der Atemwege, des Bauchraums, des Urogenitalbereiches, der Haut- und Weichteilgewebe, der Gelenke und
Knochen sowie Sepsis, Endokarditis und die perioperative Prophylaxe bei erhöhter Gefährdung der Patienten durch Infektionen angesehen. Bei einer Anfangstherapie ohne Kenntnis des Erregers sind die
mikrobiologischen Schwachstellen der Substanz (Pseudomonas aeruginosa, Enterobacter cloacae, Enterokokken) zu berücksichtigen.
Nebenwirkungen
Außer den schon bekannten Nebenwirkungen gegenüber Penicillin-Derivaten wurden keine neuen Unverträglichkeitsreaktionen beschrieben. Zu beachten sind mögliche Störungen der Blutgerinnung durch
Ticarcillin; bei Überdosierung können Krampfanfälle auftreten, wie es bei allen ß-Laktam-Antibiotika in seltenen Fällen beobachtet wird. Überempfindlichkeitsreaktionen in Form von allergischen
Hautreaktionen werden mit 5-7% angegeben. Selten werden transiente Erhöhungen der Transaminasen sowie der alkalischen Phosphatase beobachtet. Zu berücksichtigen ist die erhöhte Natriumbelastung durch
Ticarcillin-Dinatrium in hoher Dosierung mit möglicher sekundärer Hypokaliämie.
ZUSAMMENFASSUNG
Mit Ticarcillin-Clavulansäure (BETABACTYL) soll eine Lücke geschlossen werden, die sich in den letzten Jahren mit Einführung der modernen Cephalosporine und Acylamino-Penicilline entwickelt hat. Eine
Verbesserung der mikrobiologischen Aktivität gegenüber der Einzelsubstanz bringt die Kombination sicherlich bei ß-Laktamase-produzierenden Staphylokokken, zahlreichen Enterobakterien sowie
Anaerobiern vor allem bei Bacteroides fragilis. Hieraus sowie auch aus den Ergebnissen der bisherigen klinischen Studien lassen sich Indikationsgebiete für diese Substanz ableiten, die Infektionen im
Abdominalbereich, Peritonitis und Infektionen des kleinen Beckens umfassen; aber auch Atemwegs- und intestinale Infektionen konnten erfolgreich behandelt werden. Bei Infektionen durch Pseudomonas
aeruginosa und/oder S. faecalis ist diese Kombination nicht indiziert. Es fehlen zur Zeit noch größere klinische Studien, in denen die Substanz kontrolliert und randomisiert mit anderen neueren
Penicillien bzw. Cephalosporinen oder auch Chinolonen geprüft wurde. Auch bleibt abzuwarten, inwieweit die Verhinderung einer Resistenzentwicklung einen Vorteil gegenüber anderen Antibiotika
darstellt.
1 BARRY, A.L. et al.
Eur. J. Clin. Microbiol. 3: 203-206, 1984
2 CASEY, P. et al.
Eur. J. Clin. Microbiol. 2: 541-547, 1983
3 CLARKE, A.M. et al.
J. Antimicrob. Chemother. 13: 121-128, 1984
4 ENG, R.H.K. et al.
Antimicrob. Agents Chemother. 26: 42-47, 1984
5 HUNTER, P.A. et al.
J. Antimicrob. Chemother. 6: 455-470, 1980
6 LANDUYI, H.W. et al.
Current Chemother. Immunther. Proc.,
12th Intern. Congr. Chemother. S. 767-770, Florenz 1981
7 BETABACTYL-Informationen für Mikrobiologen und
Standard -Information für den Krankenhausapotheker zum
Fertigarzneimittel. Beecham-Wülfing / Neuss, 1985
Aktuelle Ergänzungen (November 2000)
Das Kombinationspräparat ist in Deutschland heute nicht mehr im Handel.
Zur kalkulierten Therapie lebensbedrohlicher Infektionen wird bevorzugt die Kombination von Piperacillin mit dem ß-Laktamaseinhibitor Tazobactam verwendet (vgl. Piperacillin / Tazobactam, ZCT 1 / 1994).