Temafloxacin - ein neues Fluorchinolon zur Behandlung bakterieller Infektionen

Unveränderter Text aus ZCT Heft 3, 1992

Aktuelle Ergänzungen am Ende des Textes


Fluorchinolone, wie zum Beispiel Ciprofloxacin (CIPROBAY) oder Ofloxacin (TARIVID), sind in den vergangenen Jahren zu unentbehrlichen Arzneimitteln geworden. Dies gilt besonders für die parenteral anwendbaren Zubereitungen, die bei schwerkranken Patienten im Krankenhaus eine wichtige therapeutische Alternative darstellen. Andererseits werden diese Substanzen in Tablettenform auch im ambulanten Bereich häufig verordnet, wobei die hohen Verordnungszahlen darauf hindeuten, daß nicht jede Verschreibung rational begründet ist (vgl. "ZCT" 12: 25-26, 1991).

 

Struktur und Wirkung

Nun steht mit Temafloxacin (TEFLOX) eine weitere alternative Substanz aus dieser Arzneimittelgruppe zur Verfügung. Bei ähnlicher chemischer Struktur wirkt auch das neue Derivat primär über eine Hemmung des bakteriellen Enzyms "Gyrase". Geringe Modifikationen im Molekül (Methylsubstition am Piperazinring in alpha-Stellung zum Stickstoffatom, weitere Fluoratome im Molekül etc.) bieten eine Erklärung für die Unterschiede bei den physikochemischen, antibakteriellen und pharmakokinetischen Eigenschaften. Auf eine umfangreiche Darstellung der verschiedenen Aspekte der neuen Substanz soll an dieser Stelle hingewiesen werden.(1)

 

Antibakterielles Spektrum

Die in vitro-Aktivität von Temafloxacin gegen grampositive Bakterien ist etwa gleich gut, wie die von Ciprofloxacin oder Ofloxacin2. Bei Pneumokokken ist die neue Substanz gegenüber den eingeführten Fluorchinolonen allerdings überlegen (MHK90-Wert: 1 mg/l). Eine im Vergleich zu den bisher verfügbaren Derivaten bessere antibakterielle Wirkung besteht auch gegenüber Erregern, die intrazellulär nachweisbar sind. Dazu gehören wichtige Erreger von Atemwegsinfektionen, wie zum Beispiel Mykoplasmen und Legionella pneumophila (MHK90: 0,015 mg/l). Chlamydia trachomatis wird durch Konzentrationen von 0,25 mg/l gehemmt. Auch gegen anaerobe Keime besteht eine bessere Aktivität als bei den bisher bekannten Chinolonen: die minimale Hemmkonzentration der Substanz gegen B. fragilis beträgt zum Beispiel 4 mg/l.

Ähnlich wie die anderen Chinolone zeigt auch Temafloxacin eine gute Aktivität gegen Enterobakterien (E. coli, Enterobacter, Proteus). Die Wirkung gegen H. influenzae oder N. gonorrhoe wird nicht beeinträchtigt, wenn diese Keime ß-Laktamase bilden. Serratia und Pseudomonas aeruginosa sind weniger empfindlich (MHK90: 4 mg/) als gegen Ciprofloxacin.

 

Pharmakokinetik

Temafloxacin wird nach oraler Gabe zu >90% aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert; durch gleichzeitige Nahrungsaufnahme wird die Bioverfügbarkeit nicht beeinflußt. Die Substanz wird zu 26% an Serumproteine gebunden und weist eine gute Penetration ins Gewebe auf. Das scheinbare Verteilungsvolumen ist - ähnlich wie das der anderen Chinolone - höher als das Körpergewicht; es wurde mit etwa 140 l bestimmt. Temafloxacin wird mit einer Halbwertzeit von etwa 8 Stunden überwiegend unverändert renal eliminiert; die Metabolisierungsrate liegt bei etwa 5%. Die "steady-state" Spitzenkonzentrationen betragen bei täglicher Einnahme von 2-mal 300 mg etwa 3 mg/l. Im therapeutisch relevanten Bereich verläuft die Resorption linear, so daß bei doppelter Dosis auch mit doppelt so hohen Plasmakonzentrationen gerechnet werden kann (3).

Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion (Kreatinin-Clearance < 40 ml/min) muß die Dosierung reduziert werden. Während für Patienten mit normaler Nierenfunktion 2-mal täglich 300 mg (bis 2-mal 600 mg) empfohlen werden, sollte die Dosis in diesem Fall halbiert werden.

Therapeutische Wirksamkeit

Ebenso wie andere Fluorchinolone erwies sich Temafloxacin bei Harnwegsinfektionen als wirksames Chemotherapeutikum. Bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen gelten Chinolone nicht als Mittel der ersten Wahl, doch erwies sich Temafloxacin (sieben Tage lang, 1-mal täglich 400 mg) in einer Doppelblindstudie bei 61 Frauen als geringfügig besser wirksam und auch besser verträglich als die Vergleichssubstanz Cotrimoxazol (BACTRIM u.a.).(4) Das Ergebnis einer weiteren Doppelblindstudie zeigt, daß das neue Arzneimittel offenbar auch bei Patienten mit nicht-gonorrhoischer Urethritis und Cervitis (Erreger: Chlamydien, Mykoplasmen) gut wirksam ist. Bei einer Dosierung von 2-mal 400 mg täglich war es der Standardsubstanz Doxycyclin (VIBRAMYCIN u.a.) leicht überlegen (5).

Bei bronchopulmonalen Infektionen konnten mit Temafloxacin bei einer täglichen Dosierung von 2-mal 600 mg bessere Ergebnisse erzielt werden, als mit Ciprofloxacin in einer Dosierung von 2-mal 750 mg täglich. Die in vitro ermittelte höhere Aktivität gegenüber Streptococcus pneumoniae wird damit unter klinischen Bedingungen bestätigt. Neben den erwähnten Indikationen ist Temafloxacin auch bei bakteriellen Infektionen der Haut und des Weichteilgewebes sowie einigen weiteren Indikationen zugelassen.

 

Verträglichkeit

Da es bei der Behandlung mit einigen Chinolonen - wie zum Beispiel mit Enoxacin (GYRAMID) - zu relevanten Arzneimittelinteraktionen kommen kann, wurde die neue Substanz in dieser Hinsicht umfassend geprüft. Dabei zeigte sich, daß es lediglich bei gleichzeitiger Einnahme von "Ulcusmitteln" zu einer Beeinträchtigung der Resorption aus dem Gastrointestinaltrakt kommen kann. Eine gleichzeitige Einnahme von Temafloxacin und Antacida oder H2-Blockern sollte deshalb vermieden werden. Hinweise auf ein Interaktionspotential mit Theophyllin bestehen nicht.

Theoretische Ableitungen aus Struktur-Wirkungsbeziehungen und den physikochemischen Eigenschaften der Substanz könnten vermuten lassen, daß das Potential für ZNS-Störungen geringer sei als bei anderen Fluorchinolonen. Solche Störungen wurden jedoch auch unter der Behandlung mit Temafloxacin gesehen und eine abschließende Bewertung dieser unerwünschten Wirkung im Vergleich zu verwandten Chemotherapeutika ist derzeit noch nicht möglich. Wie bei anderen antibakteriellen Wirkstoffen wurden auch bei Temafloxacin-Gabe gastrointestinale Störungen als häufigste Nebenwirkung beobachtet (Übelkeit: 3,4%). Während der klinischen Prüfung wurde bei 106 von 2602 Patienten (= 4,1%) die Behandlung wegen einer unerwünschten Wirkung abgebrochen - allerdings war in diesen Fällen die Ursache der unerwünschten Wirkung nicht eindeutig geklärt.
 

 

ZUSAMMENFASSUNG:

 

Temafloxacin (TEFLOX) ist ein neues Fluorchinolon, das sich von den bisher zugelassenen Vertretern dieser Arzneimittelgruppe durch eine geringfügig bessere Aktivität im grampositiven Bereich sowie durch ein günstiges pharmakokinetische Verhalten auszeichnet (gute Bioverfügbarkeit, lange Halbwertzeit, renale Elimination). Insbesondere bei der Behandlung von Atemwegsinfektionen, aber auch bei bestimmten Urogenitalinfektionen eröffnen sich durch die Einführung dieses Chemotherapeutikums interessante neue therapeutische Möglichkeiten. Wenn weitere klinische Vergleichsstudien vorliegen, wird der genaue therapeutische Stellenwert dieses Chinolons genauer zu definieren sein.


Literatur


1. Temafloxacin-Supplement Am. J. Med. 91 (Suppl 6A): 1S-172S, 1991
2. PANKEY, G.A.

Am. J. Med. 91 (Suppl 6A): 166S-172S, 1991
3. GRANNEMAN, G.R. et al.

Antimicrob. Agents Chemother. 36: 378-386, 1992
4. IRAVANI, A.

Europ. J. Clin. Microbiol. Infect. Dis. (Suppl.), 20-21, 1991 
5. McCARTY, J. et al.

Europ. J. Clin. Microbiol. Infect. Dis. (Suppl.), 33-34, 1991 

 

Aktuelle Ergänzungen (Oktober 2000)

 

Wenige Monate nach Erstellung und Veröffentlichung dieses Artikels in der Zeitschrift für Chemotherapie (Heft 3, 1992) ist Temafloxacin wegen schwerwiegender unerwünschter Wirkungen aus dem Handel genommen worden. Die folgende Arbeit aus der FDA gibt hierüber weitere Informationen:

 

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