Unveränderter Text aus ZCT Heft 4, 1990
Sinnvolle Kombinationspräparate bestehen im allgemeinen aus der Mischung zweier Arzneistoffe, die sich in ihrer Wirkung ergänzen und vielleicht sogar potenzieren. Sehr selten gelingt es, durch die
chemische Verbindung zweier Wirkstoffe neue Pharmaka zu entwickeln, die nicht nur pharmakodynamisch, sondern auch pharmakokinetisch günstigere Eigenschaften besitzen als die Ausgangsverbindungen.
Umso interessanter ist die Entwicklung von Sultamicillin (UNACID PD), das seit kurzem zur oralen Behandlung bakterieller Infektionen verfügbar ist. Chemisch stellt die neue Substanz einen Doppelester
dar, in dem das Antibiotikum Ampicillin (BINOTAL u.a.) mit dem ß-Laktamaseinhibitor Sulbactam (COMBACTAM) über eine Methylengruppe verbunden ist1,2.
Die Mischung der beiden Einzelsubstanzen ist bereits seit etwa zwei Jahren als UNACID zur parenteralen Applikation im Handel (vgl. "ZCT" 8:43-44, 1987).
Durch die Kombination mit dem ß-Laktamase-Inhibitor wird das Antibiotikum vor einer Hydrolyse durch entsprechende "Abwehr-Enzyme" grampositiver und gramnegativer
Erreger geschützt und damit kann Ampicillin seine Wirkung gegen ein breites Spektrum von Bakterien entfalten. So werden auch jene Stämme von S. aureus erfaßt, die durch Penicillinase-Bildung
gegenüber Penicillinen resistent sind. Im gramnegativen Bereich gehören neben H. influenzae vor allem die Enterobakterien zum Wirkungsbereich der Kombination. Durch die Wirkung des Sulbactams werden
diese Keime zuverlässig vom Ampicillin gehemmt - unabhängig von ihrer Fähigkeit zur ß-Laktamaseproduktion. Pseudomonas aeruginosa ist jedoch in jedem Fall resistent.
Von klinischer Bedeutung ist die Aktivität des Präparates gegen anaerobe Bakterien. Bacteroides fragilis und andere Bacteroides-Arten sowie Clostridien und Peptokokken werden bereits bei niedrigen
Konzentrationen gehemmt.
Die beiden Ausgangssubstanzen für Sultamicillin werden schlecht aus dem Magen-Darm-Trakt resorbiert. Für Ampicillin liegt die Bioverfügbarkeit bei ca. 40% und Sulbactam wird praktisch gar nicht durch die Darmschleimhaut aufgenommen. Der "Doppelester" wird jedoch absorbiert und anschließend sofort in die beiden Bestandteile gespalten, so daß im Plasma nur Ampicillin und Sulbactam nachweisbar sind; die Bioverfügbarkeit beider Komponenten liegt unter diesen Umständen bei über 80%. Nach oraler Gabe von 750 mg Sultamicillin (= 440 mg Ampicillin und 294 mg Sulbactam) werden rasch Spitzenspiegel im Plasma erreicht, die bei 11 mg/l für Ampicillin (!) und bei etwa 6 mg/l für Sulbactam liegen. Auch im Gewebe liegt das Konzentrationsverhältnis beider Bestandteile etwa bei 2:1. Die Plasmaprotein-Bindung liegt bei 28 bzw. 38%. Beide Substanzen haben eine Eliminations-Halbwertzeit von etwa einer Stunde und werden zu ca. 75 bis 80% unverändert über die Niere ausgeschieden. Bei Schwangeren wurden kürzere Halbwertzeiten bestimmt; bei Patienten mit Niereninsuffizienz, bei alten Patienten und bei Neugeborenen sind die Halbwertzeiten verlängert.
Die üblichen klinischen Studien, die mit neuentwickelten Antibiotika bei Patienten mit Atemwegs-, Harnwegs- oder auch anderen Infektionen durchgeführt werden, erlauben
zwar eine grobe Orientierung über den klinischen Einsatz der Präparate, gestatten aber andererseits keine eindeutige Einordnung im Vergleich zu ähnlich wirksamen Präparaten. Erst eine längerfristige
klinische Anwendung und direkte Vergleichsuntersuchungen können entsprechende Fragen beantworten. Derzeit lassen sich als mögliche Anwendungsbereiche von Sultamicillin Atemwegsinfektionen, wie
Sinusitis, Bronchitis oder Pneumonie sowie Otitis media, Harnwegsinfektionen und Infektionen der Haut und Weichteile durch empfindliche Erreger definieren.
Die in einer Tablette UNACID PD enthaltene Menge Sultamicillintosiliat-Dihydrat entspricht 375 mg Sultamicillin (= 220 mg Ampicillin). Die für Erwachsene vom Hersteller empfohlene Dosierung beträgt
zweimal täglich 1 - 2 Tabletten. Kinder sollen mit zweimal täglich 50 mg Sultamicillin/kg KG behandelt werden (Trockensubstanz zur Herstellung einer Suspension). Selbst unter dem Gesichtspunkt einer
deutlich besseren Bioverfügbarkeit des Antibiotikums und einer Wirkungssteigerung durch den Enzym-Inhibitor erscheint diese Dosierung sehr niedrig und es bleibt abzuwarten, ob unter klinischen
Bedingungen nicht doch eine höhere Einzeldosierung und/oder eine häufigere Einnahme pro Tag notwendig ist.
Die Verträglichkeit von Sultamicillin wurde an fast 6000 Patienten überprüft. Bei 18% der Patienten traten Nebenwirkungen auf. In 4,7% der Fälle wurde die Therapie
abgebrochen.
Am häufigsten kam es zu Durchfällen (14% der Patienten). Diese unerwünschte Wirkung dürfte überwiegend durch eine Beeinflussung der Darmflora (Anaerobier!) zustande kommen. Im Rahmen der weltweiten
Untersuchungen zeigten sich dabei in verschiedenen Ländern erhebliche Unterschiede in den Inzidenzen: 20% in USA, 14% in Europa und nur 4% in Japan. Ferner wurde eine Altersabhängigkeit in der
Häufigkeit dieser Nebenwirkung gesehen: in einigen Studien an Kindern mit Atemwegsinfektionen lag die Häufigkeit der Diarrhö bei 40 bis 80%. Andere Autoren berichten über eine bessere Verträglichkeit
- auch in diesem Punkt kann also zur Zeit keine eindeutige Aussage gemacht werden.
Andere Nebenwirkungen waren relativ selten: die Raten für Exantheme, Juckreiz, Kopfschmerzen und Pilzsuperinfektionen werden jeweils mit < 1% der Behandelten angegeben.
Sultamicillin (UNACID PD) ist eine neue chemische Verbindung, die nach oraler Gabe gut resorbiert wird und dabei in seine Komponenten Ampicillin (BINOTAL u.a.) und
Sulbactam (als Monopräparat nicht im Handel) gespalten wird. Durch den ß-Laktamase-Inhibitor ist die antibakterielle Wirkung des Aminopenicillins erhöht und das Spektrum erweitert. Beide Bestandteile
besitzen ähnliche pharmakokinetische Eigenschaften. Als Anwendungsgebiete kommen neben Atemwegs- und Harnwegsinfektionen auch Weichteilinfektionen in Frage. Wichtigste Nebenwirkung sind Diarrhöen,
die im Durchschnitt bei etwa jedem siebten Patienten auftreten.
1. FRIEDEL, H.A. et al. Drugs 37: 491-522, 1989
2. UNACID-Produktmonographie, Pfizer GmbH, Karlsruhe