Rifamycin – neue Indikation für ein altes Antibiotikum

Unveränderter Text aus Heft 1, 2021

Ergänzungen am Ende des Textes

 

Sechs Jahrzehnte sind seit der Entdeckung von Rifamycin SV und anderen Rifamycinen vergangen. Seit einigen Monaten ist es erstmals in Tablettenform unter dem Namen RELAFALK im Handel.1 Das Antibiotikum erlangte im letzten Jahrhundert keine größere Bedeutung, weil es nach oraler Gabe nicht ausreichend resorbiert wird und daher intravenös verabreicht wurde. Es gelang, Rifampicin und andere optimierte Derivate mit ausreichender Bioverfügbarkeit zu entwickeln, die heute zur Behandlung von Infektionen durch Mykobakterien und grampositive Erreger eingesetzt werden. Nun wird Rifamycin SV für eine Indikation angeboten, bei der die geringe Bioverfügbarkeit von Vorteil ist. Es ist für die Behandlung der Reisediarrhö zugelassen, sofern keine Anzeichen einer invasiven Enteritis wie Fieber oder Blut im Stuhl vorhanden sind. Damit ist es eine Alternative zu dem nahe verwandten Rifaximin (XIFAXAN), das seit einigen Jahren ebenfalls bei Reisediarrhö angewandt wird.

Strukturformel Rifamycin SV. Das Molekulargewicht des makrozyklischen Ansamycin-Antibiotikums beträgt 720 g/mol (Natriumsalz).

 

Eine Reisediarrhö wird überwiegend durch Bakterien – zumeist über kontaminierte Lebensmittel oder Getränke – verursacht. Typische Symptome sind ungeformter Stuhl oder imperativer Stuhldrang, sowie Übelkeit, Erbrechen, abdominale Krämpfe oder Fieber. Zu den häufig angewandten Antibiotika gehören Ciprofloxacin und Azithromycin.2 Da beide im Organismus ausreichende Konzentrationen erreichen und auch für andere Infektionen indiziert sind, gibt es Argumente, auf diese Substanzen bei einer Reisediarrhö zu verzichten.

 

Antibakterielle und pharmakokinetische Eigenschaften

 

Rifamycin blockiert ebenso wie andere Antibiotika aus der Gruppe der Ansamycine die bakterielle RNS-Synthese durch Hemmung der ß-Untereinheit der DNS-abhängigen RNS-Polymerase. Bei ausreichenden Konzentrationen wirkt es bakterizid. Gegenüber den wichtigsten Erregern einer Reisediarrhö, wie Enterotoxin-bildenden E. coli-Stämmen (ETEC) oder enteroaggregativen E. coli (EAEC), konnte in den klinischen Studien eine Wirkung belegt werden. Die in vitro ermittelten Hemmkonzentrationen (MHK90) gegenüber enteropathogenen E. coli-Stämmen sind mit 64 und 128 mg/l recht hoch.3 Enterobacteriaceae gehören nicht zu den besonders empfindlichen Bakterienarten im Spektrum des Antibiotikums. Da im Darmlumen jedoch hohe lokale Konzentrationen erreicht werden, ist die Aktivität ausreichend.

 

Durch eine spezielle galenische Zubereitung wird der Wirkstoff erst im Kolon freigesetzt. Dies wird erreicht durch die Multimatrix (MMX)-Technologie, bei der eine pH-abhängige und verzögerte Freisetzung erfolgt. Systemisch verfügbar ist der Stoff nur in sehr geringen Konzentrationen, die Bioverfügbarkeit wird im Mittel auf etwa 0,04 % geschätzt; die bei Probanden im Plasma gemessenen Konzentrationen lagen häufig unterhalb der Bestimmungsgrenze von 2 µg/l. Pharmakokinetische Daten liegen daher nicht vor.

 

Klinische Studien

 

Grundlage für die Bewertung des „neuen“ Antibiotikums sind die klinischen Daten. In prospektiven Studien wurde es sowohl mit Placebo als auch mit Ciprofloxacin verglichen. Zwei Tabletten mit jeweils 200 mg Rifamycin wurden von den Teilnehmern drei Tage lang morgens und abends unzerkaut mit einem Glas Wasser eingenommen. Bei Erwachsenen mit Reisediarrhö in Mexiko oder Guatemala wurde die Wirksamkeit im Vergleich mit Placebo geprüft. Primärer Endpunkt war die Zeit bis zum letzten ungeformten Stuhl, die von 68 Stunden (Placebo) auf 46 Stunden verkürzt war. Als geheilt wurden insgesamt 81 % der Studienteilnehmer angesehen (Placebo: 57 %).4

 

Die zweite Studie wurde bei mehr als 800 Patienten in Indien und Lateinamerika durchgeführt. Danach ist die klinische Wirksamkeit des Präparates in einer Dosierung von zweimal täglich 400 mg mit der Effektivität von Ciprofloxacin (zweimal täglich 500 mg) vergleichbar. Die mediane Zeitdauer zwischen der ersten Einnahme und dem letzten ungeformten Stuhl betrug 43 Stunden im Vergleich zu 37 Stunden mit Ciprofloxacin, die Heilungsrate lag in beiden Studienarmen bei 85 %.5 Die Verträglichkeit war gut, schwerwiegende unerwünschte Wirkungen wurden in beiden Gruppen nicht beobachtet. Die Studie zeigte auch ein reduziertes Risiko für die Kolonisierung mit ESBL-(extended spectrum β-lactamase)-produzierenden Enterobakterien bei Patienten, bei denen zu Beginn der Studie ESBL-positive Bakterien nicht nachweisbar waren. Bei 10 % der Patienten in der Rifamycingruppe (27/263) konnte am Ende der Behandlung ein entsprechender Keim nachgewiesen werden, in der Vergleichsgruppe war dies bei 17 % (45/259) der Teilnehmer der Fall.

 

ZUSAMMENFASSUNG

 

Rifamycin SV (RELAFALK) ist in einer Dosierung von zweimal 400 mg täglich zur Behandlung der Reisediarrhö zugelassen. Aufgrund der besonderen galenischen Verarbeitung wird das Antibiotikum erst im Kolon freigesetzt und erreicht keine systemisch wirksamen Konzentrationen. In prospektiven Studien war es besser wirksam als Placebo und etwa gleich wirksam wie Ciprofloxacin. Falls innerhalb von drei Tagen keine Besserung eintritt, muss von einem komplizierten Verlauf ausgegangen werden. Weitergehende medizinische Maßnahmen sind dann notwendig.

                                     
 

Literatur

 

1. Fachinfo. Relafalk 200 mg Tabletten mit veränderter Wirkstofffreisetzung. www.fachinfo.de

 

2. Hoy SM. Rifamycin SV MMX®: A Review in the Treatment of Traveller's Diarrhoea. Clin Drug Investig. 2019 Jul;39(7):691-697

 

3. Farrell DJ, Putnam SD, Biedenbach DJ, Moro L, Bozzella R, Celasco G, Jones RN. In vitro activity and single-step mutational analysis of rifamycin SV tested against enteropathogens associated with traveler's diarrhea and Clostridium difficile. Antimicrob Agents Chemother. 2011 Mar;55(3):992-6.

 

4. DuPont HL et al. Targeting of rifamycin SV to the colon for treatment of travelers' diarrhea: a randomized, double-blind, placebo-controlled phase 3 study. J Travel Med. 2014 Nov- Dec;21(6):369-76

 

5. Steffen R, Jiang ZD, Gracias Garcia ML, Araujo P, Stiess M, Nacak T, Greinwald R, DuPont HL. Rifamycin SV-MMX® for treatment of travellers' diarrhea: equally effective as ciprofloxacin and not associated with the acquisition of multi-drug resistant bacteria. J Travel Med. 2018 Jan 1;25(1):tay116

 

 

Ergänzung (Februar 2021)

 

Pharmakokinetische Daten von Rifamycin bei Probanden

 

In einer aktuellen Publikation finden sich detaillierte Angaben zur Pharmakokinetik von Rifamycin bei gesunden Probanden.

 

Di Stefano AFD, Radicioni MM, Vaccani A, Mazzetti A, Longo LM, Moro L. Pharmacokinetics and Safety of Rifamycin SV after Single and Multiple Doses of MMX-Modified Release Tablets in Healthy Male and Female Volunteers. Antibiotics (Basel). 2021 Feb 6;10(2):167

 

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