Pneumokokkenimpfstoff PREVENAR

Originaltext aus Heft 4, 2001
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Aktuelle Ergänzungen am Ende des Textes

Pneumokokken (S. pneumoniae) verursachen häufig Infektionen der Atemwege bei Kindern und Erwachsenen, wobei zwischen nicht-invasiven und invasiven, bakteriämisch verlaufenden Infektionen unterschieden werden muss. In Deutschland lag Ende der neunziger Jahre die Inzidenz der invasiven Pneumokokken-Infektionen bei unter 5-jährigen Kindern bei etwa 9 pro 100.000 (Pneumokokken-Meningitis: 4 von 100.000); trotz Antibiotikatherapie wird die Mortalität mit 10 bis 20% angegeben.[1]

Besorgniserregend ist die seit Jahren weltweit zu beobachtende Zunahme Antibiotika-resistenter Stämme des Erregers – auch unter diesem Aspekt gewinnt der Einsatz vorbeugender Massnahmen an Bedeutung.[2]

Wirksame Pneumokokken-Impfstoffe stehen seit mehr als 20 Jahren zur Prophylaxe der Erkrankungen zur Verfügung, doch ist ihre Anwendbarkeit aufgrund einer recht schwachen Immunantwort nicht zufriedenstellend. Die Immunantwort ist T-Zell-unabhängig und induziert nur ein schwaches "immunologisches Gedächtnis". Ihre Anwendung beschränkt sich daher auf ältere Menschen und Risikopatienten (Tabelle). Da sie bei kleinen Kindern (<2 Jahre) nicht wirksam sind, besteht ein Bedarf für eine verbesserte Vakzine.

Bei dem neuen Impfstoff PREVENAR handelt es sich um einen 7-valenten Konjugat-Impfstoff, der in den USA bereits vor mehr als einem Jahr als erster Pneumokokken-Impfstoff für Säuglinge und Kinder zugelassen worden ist und nun auch in Europa zur Verfügung steht.[3]

Die Immunogenität wurde verbessert, indem nach dem Vorbild des erfolgreichen Hib-Impfstoffs (z.B. HIB MERIEUX) die Polysaccharide an CRM197-Trägerprotein konjugiert wurden (CRM197 ist ein nichttoxisches Diphtherie-Toxin-Analogon). Der Impfstoff enthält die 7 Serotypen (4, 6B, 9V, 14, 18C, 19F, 23F), die für etwa 80% der invasiven Pneumokokken-Erkrankungen wie Sepsis und fast 90% der Fälle von Pneumokokken-Meningitis bei Kindern unter 2 Jahren verantwortlich sind.[4]

Tabelle: Pneumokokken-Impfstoffe

 

Polysaccharid-Impfstoff

Konjugat-
Impfstoff

Handelsname /
Hersteller

PNEUMOPUR PNEUMOVAX
Chiron Behring Pasteur Merieux MSD

PREVENAR
Wyeth Pharma

Enthaltene Serotypen

23-valent

7-valent

Art des Antigens

Kapselpolysaccharide

Protein-konjugierte Polysaccharide

Immunantwort

T-Zell-unabhängig

T-Zell-abhängig

Boostereffekt

nein

ja

Patientengruppe

a) Personen
>60 Jahre
b) Risikopersonen
>2 Jahre

Kinder < 2 Jahren

Wirksamkeit

begrenzt 
(bei Kindern nicht immunogen)

besserer Schutz, zuverlässige Immun-antwort nach der Grundimmunisierung

 

Die Immunogenität, Verträglichkeit und Wirksamkeit des neuen Impfstoffs wurde in einer umfangreichen Doppelblindstudie in Kalifornien an mehr als 37.000 Kleinkindern untersucht. Im 2., 4., 6. und im 12. bis 15. Lebensmonat erhielten die Probanden jeweils eine Dosis des Impfstoffs oder sie wurden mit einem Kontrollimpfstoff (Meningokokken-Konjugatimpfstoff) geimpft. Im Verlauf der Studie traten insgesamt 52 invasive Erkrankungen durch Serotypen des Impfstoffs auf. Die errechnete serotypspezifische Wirksamkeit des Impfstoffs lag bei 90%, je nach klinischer Bedeutung der in verschiedenen Regionen Europas durch den Impfstoff erfassten Serotypen kann in diesen Gegenden eine Effektivität zwischen 65% und 79% angenommen werden.[3,5] Dieses Resultat gilt jedoch nur für invasive Infektionen, also Sepsis, Meningitis und andere hämatogene Infektionen. Davon abzugrenzen ist die Frage einer Wirksamkeit bei den viel häufigeren nicht-invasiven Pneumokokken-Infektionen der Atemwege (Otitis media, Pneumonie).

Über einen protektiven Effekt bei Otitis media wurde von einer Arbeitsgruppe aus Finnland berichtet, doch bezog er sich naturgemäß nur auf die in der Vakzine vorhandenen Serotypen.[6] Gleichzeitig wurden in der Gruppe der geimpften Kinder aber 33% mehr Episoden durch alle anderen Serotypen als in der Kontrollgruppe verzeichnet. Vor allzu optimistischen Schlussfolgerungen aus dieser Studie ist daher auch gewarnt worden.[7]

Verträglichkeit

Reaktionen an der Injektionsstelle (Schwellung, Erythem), leichtes Fieber, Reizbarkeit und unruhiger Schlaf sind die häufigsten unerwünschten Wirkungen der Impfung. Vor allem bei der Auffrischimpfung kam es bei jedem dritten Kind zu einer vorübergehenden Druck-empfindlichkeit, die häufig mit einer beeinträchtigten Beweglichkeit der Gliedmassen verbunden war. Gelegentlich traten Exantheme bzw. Urtikaria auf. Krampfanfälle waren selten (< 1:1000).[3]

ZUSAMMENFASSUNG

Ein neuer, heptavalenter Pneumokokken-Konjugat- Impfstoff, PREVENAR, bietet einen hochwirksamen Schutz gegen invasive Pneumokokken-Infektionen im Kindesalter. Damit bestehen neue Optionen zur Vorbeugung dieser lebensbedrohlichen Erkrankungen im Kindesalter. Der Impfstoff scheint auch vor nicht-invasiven Pneumokokken-Infektionen, wie z. B. Otitis media, zu schützen, jedoch sind die Auswirkungen eines breiten Einsatzes noch nicht mit allen Konsequenzen vorhersehbar. Der Impfstoff war insgesamt gut verträglich, nicht selten kommt es jedoch zu lokalen Reaktionen sowie leichtem Fieber.

1. VON KRIES R, SIEDLER A et al. Proportion of invasive pneumococcal infections in German children preventable by pneumococcal conjugate vaccines. Clin Infect Dis. 2000 Aug;31(2):482-7.

2. REINERT RR, SIMIC S et al. Antimicrobial resistance of Streptococcus pneumoniae recovered from outpatients with respiratory tract infections in Germany from 1998 to 1999: results of a national surveillance study. J Clin Microbiol. 2001 Mar;39(3):1187-9.

3. FACHINFO PREVENAR, Wyeth Lederle, Januar 2001

4. ESKOLA J. Immunogenicity of pneumococcal conjugate vaccines. Pediatr Infect Dis J. 2000 Apr;19(4):388-93.

5. BLACK S, SHINEFIELD H et al. Efficacy, safety and immunogenicity of heptavalent pneumococcal  conjugate vaccine in children. Northern California Kaiser Permanente Vaccine Study Center Group. Pediatr Infect Dis J. 2000 Mar;19(3):187-95.

6. ESKOLA J, KILPI T et al. Efficacy of a pneumococcal conjugate vaccine against acute otitis media.N Engl J Med. 2001 Feb 8;344(6):403-9.

7. LAVIN A. A pneumococcal conjugate vaccine and acute otitis media. N Engl J Med. 2001 May 31;344(22):1719

 

Ergänzungen (Dezember 2009)

 

Seit der Erstellung und Veröffentlichung dieses Artikels in der Zeitschrift für Chemotherapie (Heft 4, 1998) sind zahlreiche weitere Arbeiten über Prevenar publiziert worden. Insbesondere soll an dieser Stelle auf die folgenden Arbeiten hingewiesen werden:

1. DE ROUX A, SCHMOLE-THOMA B et al. Comparison of pneumococcal conjugate polysaccharide and free polysaccharide vaccines in elderly adults: conjugate vaccine elicits improved antibacterial immune responses and immunological memory. Clin Infect Dis. 2008 Apr 1;46(7):1015-23.

2. HANAGE WP, HUANG SS et al. Diversity and antibiotic resistance among nonvaccine serotypes of Streptococcus pneumoniae carriage isolates in the post-heptavalent conjugate vaccine era. J Infect Dis. 2007 Feb 1;195(3):347-52.

3. TSIGRELIS C, TLEYJEH IM et al. Decreases in case-fatality and mortality rates for invasive pneumococcal disease in Olmsted County, Minnesota, during 1995-2007: a population-based study. Clin Infect Dis. 2008 Dec 1;47(11):1367-71.

4. JACOBS MR, GOOD CE et al. Emergence of Streptococcus pneumoniae serotypes 19A, 6C, and 22F and serogroup 15 in Cleveland, Ohio, in relation to introduction of the protein-conjugated pneumococcal vaccine. Clin Infect Dis. 2008 Dec 1;47(11):1388-95.

5. HSU HE, SHUTT KA et al. Effect of pneumococcal conjugate vaccine on pneumococcal meningitis. N Engl J Med. 2009 Jan 15;360(3):244-56.

6. PAVIA M, BIANCO A et al. Efficacy of pneumococcal vaccination in children younger than 24 months: a meta-analysis. Pediatrics. 2009 Jun;123(6):e1103-10.

 

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