Aktuelle Ergänzungen am Ende des
Textes
Netilmicin ist ein neues halbsynthetisches Aminoglykosid-Antibiotikum, das unter dem Handelsnamen CERTOMYCIN von der Firma
Byk Essex kürzlich in den Handel gebracht wurde.
Mikrobiologie
Netilmicin besitzt das gleiche Spektrum wie
verwandte Aminoglykoside. Staph. aureus sowie die meisten Enterobacteriaceae und Pseudomonas aeruginosa werden gehemmt. Die in vitro-Aktivität ist mit der des Gentamicin (REFOBACIN, SULMYCIN u.a.),
Sisomicin (EXTRAMYCIN, PATHOMYCIN) und Tobramycin (GERNEBCIN) vergleichbar, doch ist Tobramycin gegen Pseudomonas aeruginosa das aktivste Aminoglykosid-Antibiotikum.
Netilmycin ist stabil gegenüber vielen bakteriellen Enzymen, die Gentamicin inaktivieren. Zwischen den verwandten Antibiotika besteht daher nur eine partielle Kreuzresistenz. 60-70% der
Gentamicin-resistenten Stämme sind Netilmicin-sensibel. Wie auch bei anderen Aminoglykosiden läßt sich durch Kombination mit ß-Laktam-Antibiotika häufig eine synergistische Wirkungssteigerung
erzielen. Besonders ausgeprägt und klinisch sinnvoll ist dieser Effekt gegen Pseudomonas aeruginosa bei Kombinationen mit Pseudomonas-Penicillinen und Penicillin G (div. Warenzeichen) oder Ampicillin
(AMPI-TABLINEN, BINOTAL u.a.) gegen Enterokokken (bei Enterokokken-Endokarditis).
Pharmakokinetik
Die Pharmakokinetik von Netilmicin ist mit der des Gentamicin, Tobramycin und Sisomicin weitgehend identisch. Netilmicin
wird renal durch glomeruläre Filtration zu 70-90% in den ersten 24 Stunden in mikrobiologisch aktiver Form ausgeschieden; die Eliminationshalbwertzeit beträgt ca. zwei Stunden. Es besteht keine
wesentliche Bindung an Plasmaeiweiß. Die Substanz ist gut hämodialysabel.Wie auch bei anderen Aminoglykosiden bekannt, ist die Penetration von Netilmicin in den Liquor cerebrospinalis nur
gering.
Toxizität
Die Organtoxizität der Aminoglykoside konzentriert sich auf die Niere sowie den VIII. Hirnnerven. Vergleichende tierexperimentelle Untersuchungen zeigten sowohl funktionell als auch histologisch eine deutlich geringere Nephrotoxizität für Netilmicin als für andere Aminoglykoside. Die Bedeutung dieser tierexperimentell besseren Nierenverträglichkeit der neuen Substanz für die klinische Anwendung ist noch nicht klar erwiesen. Die Nephrotoxizität von Netilmicin liegt im klinischen Vergleich zu anderen Aminoglykosiden in derselben Größenordnung - bei allerdings etwa doppelter Dosis des Netilmicin. Die bisher vorliegenden begrenzten Untersuchungen lassen noch kein abschließendes Urteil zu. Ob Netilmicin mit Cephalosporin-Antibiotika bezüglich der Nephrotoxizität sicherer kombiniert werden kann, muß klinisch untersucht werden. Tierexperimente scheinen zur Beantwortung dieser Frage nicht schlüssig. Netilmicin ist bei allen getesteten Tierspezies weniger ototoxisch als Gentamicin und scheint tierexperimentell auch günstiger als Tobramycin zu sein. Die Ergebnisse der klinischen Prüfung an 890 Patienten sowie begrenzte Vergleichsstudien zeigten, daß Störungen des VIII. Hirnnerven selten, überwiegend geringgradig und manchmal transient sind. Auch hier sind weitere kontrollierte Studien notwendig.
Klinik
Die klinische Prüfung zeigte eine gute therapeutische Wirkung von Netilmicin bei Infektionen der Harn-, Gallen-, Atemwege
und Septikämien, die mit anderen Aminoglykosiden vergleichbar sein dürften. Die empfohlene Tagesdosis beträgt 4-6 mg/kg KG und kann bei schweren Infektionen und resistenten Erregern bis auf 7,5 mg/kg
KG erhöht werden. Die Tagesdosis sollte in drei Einzeldosen (acht Stunden Dosisintervall) aufgeteilt werden; aufgrund der höheren Dosierbarkeit im Vergleich zu Gentamicin eignet sich auch ein 12
Stunden Dosisintervall, insbesondere bei Harnwegsinfektionen.
Die Applikation sollte als i.m. Injektion oder i.v. Kurzinfusion über eine halbe Stunde erfolgen. Bei Niereninsuffizienz muß die Dosis dem Grad der Funktionsstörung angepaßt werden.
ZUSAMMENFASSUNG
Netilmicin (CERTOMYCIN) ist ein neues Aminoglykosid-Antibiotikum mit größerer therapeutischer Breite als Gentamicin
(REFOBACIN, SULMYCIN) und verwandte Substanzen. Die antimikrobielle in vitro-Aktivität ist mit der des Gentamicin vergleichbar, doch ist Netilmicin gegen einen hohen Prozentsatz
Gentamicin-resistenter Bakterien aktiv. Die günstigen tierexperimentellen Ergebnisse zur Nephro- und Ototoxizität müssen durch kontrollierte klinische Studien bestätigt werden, um ein abschließendes
Urteil über die Organtoxizität des Netilmicin im Vergleich zu anderen Aminoglykosiden treffen zu können.
Aktuelle Ergänzungen (Oktober 2000)
Seit der Erstellung und Veröffentlichung dieses Artikels in der Zeitschrift für Chemotherapie (Heft 1, 1981) sind
zahlreiche weitere Arbeiten über Netilmicin publiziert worden. Insbesondere soll an dieser Stelle auf die folgenden Publikationen hingewiesen werden:
HINWEIS:
„Einmal-täglich-Dosierung der Aminoglykoside“
Der kurzen Halbwertzeit entsprechend sind Netilmicin und andere Aminoglykoside traditionell dreimal täglich gegeben worden. Experimentelle und klinische Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass die
gesamte Tagesdosis der Aminoglykoside auf einmal gegeben werden kann ("Einmal-täglich-Dosierung"). Da die Erreger nachhaltig im Wachstum gehemmt werden ("postantibiotischer Effekt") und die Toxizität
weniger mit den Spitzenspiegeln als vielmehr mit den Talspiegeln korreliert, sind sowohl die therapeutische Wirksamkeit als auch die Verträglichkeit bei der "Einmal-täglich-Dosierung" tendenziell
günstiger. Die Einmal-täglich-Dosierung von Netilmicin ist heute üblich.