Lopinavir - ein Protease-Inhibitor mit Metabolisierungsschutz

Unveränderter Text aus Heft 5, 2001
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Ergänzungen am Ende des Textes

Die Entwicklung der Protease-Inhibitoren hat die Therapie der HIV-Infektion entscheidend verändert. Durch die Kombinationstherapie aus Hemmstoffen der viralen Protease und Inhibitoren der reversen Transkriptase konnte die Letalität der Erkrankung deutlich gesenkt werden. Inzwischen stehen eine Reihe von Protease-Inhibitoren zur Verfügung, mit Lopinavir (in KALETRA) wird das Angebot nochmals erweitert.

Strukturformel Lopinavir
Strukturformel Ritonavir

Antivirale Aktivität

Lopinavir zeichnet sich durch eine hohe Spezifität für die HIV-1-Protease aus. In vitro wird eine deutliche Hemmung der Proteaseaktivität bereits bei Konzentrationen von weniger als 1 nmol/l erreicht; die zur Hemmung der Viren notwendigen Konzentrationen sind von den Versuchsbedingungen abhängig, liegen aber ebenfalls im nanomolaren Bereich. Wie mit anderen Protease-Inhibitoren lassen sich auch mit Lopinavir resistente Viren in vitro selektieren. Dabei besteht eine Kreuzresistenz vor allem mit Ritonavir (NORVIR) und Indinavir (CRIXIVAN), sie ist weniger ausgeprägt mit anderen Wirkstoffen dieser Gruppe.
 

Pharmakokinetische Eigenschaften

Die Substanz wird im menschlichen Organismus durch hepatische Monooxygenasen (z.B. CYP3A4) so rasch metabolisiert, dass bei alleiniger Gabe keine ausreichenden Konzentrationen erzielt werden. Daher wird der Wirkstoff nur in fixer Kombination mit Ritonavir (NORVIR), einem potenten Inhibitor der metabolisierenden Enzyme verabreicht. Die in dem Kombinationspräparat gewählte Dosis von Ritonavir (100 mg) ist nicht ausreichend zur Hemmung von HIV, führt aber durch Hemmung des Metabolismus zu einem deutlichen Anstieg der Lopinavir-Spiegel. Mehrfachgaben von 2 mal täglich Lopinavir / Ritonavir in einer Dosierung von 400 / 100 mg führten zu Lopinavir-Spitzenkonzentrationen von 9,6 ± 4,4 mg /l im Plasma, die etwa 4 Stunden nach der Einnahme erreicht wurden. Die durchschnittlichen Talkonzentrationen lagen bei 5,5 ± 4 mg/l. Die hohen Standardabweichungen der Mittelwerte deuten auf die ausgeprägte individuelle Variabilität der Konzentrationen hin. Da die Bioverfügbarkeit auch von dem Fettgehalt der Nahrung abhängig ist, bestehen weitere Möglichkeiten für variable Resorptionsverhältnisse; es wird empfohlen, das Arzneimittel zusammen mit einer Mahlzeit einzunehmen.


Klinische Wirksamkeit

Die therapeutischen Wirkungen in Kombination mit anderen antiretroviralen Chemotherapeutika entsprechen im wesentlichen den Erfahrungen mit anderen Protease-Inhibitoren. Bei antiretroviral nicht vorbehandelten Patienten war die suppressive Wirkung auf die HIV-Replikation nach fast einjähriger Behandlung signifikant höher als bei Gabe von Indinavir (jeweils in Kombination mit anderen Substanzen). Auch bei vorbehandelten Patienten wurden günstige klinische Ergebnisse berichtet. Die abschließende Beurteilung der klinischen Resultate ist derzeit aber noch nicht möglich, da einige Studien noch nicht abgeschlossen sind und erst die Erfahrungen bei einem Einsatz unter „Alltagsbedingungen“ abgewartet werden müssen.


Unerwünschte Wirkungen

Zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen gehören Diarrhö und andere gastrointestinale Störungen. Selten traten ZNS- oder Hautreaktionen auf. Die Konzentrationen an Cholesterin und Triglyzeriden können erhöht sein. Fälle von Pankreatitis wurden berichtet, bei Auftreten von Übelkeit, Erbrechen und Oberbauchbeschwerden muss daher die Behandlung abgebrochen werden.
 

Interaktionen

Beide Wirkstoffe in dem Präparat KALETRA sind Hemmstoffe der Cytochrom P450 Isoform CYP3A. Das Medikament darf daher nicht zusammen mit anderen Arzneimitteln verabreicht werden, deren Metabolismus von diesem Enzym abhängt und bei denen durch erhöhte Plasmakonzentrationen mit schweren oder lebensbedrohlichen Situationen zu rechnen ist. Dazu gehören einige Benzodiazepine, Antiarrhythmika, Mutterkornalkaloide und zahlreiche andere Wirkstoffe. Hinsichtlich des Risikos für Arzneimittel-Interaktionen besteht also eine ähnliche Situation wie für andere Protease-Inhibitoren.
 

ZUSAMMENFASSUNG

Lopinavir / Ritonavir (KALETRA) ist ein neuer Protease-Inhibitor; nur in der Kombination mit Ritonavir ist die Bioverfügbarkeit von Lopinavir ausreichend. Die therapeutischen Wirkungen in Kombination mit anderen antiretroviralen Chemotherapeutika entsprechen weitgehend den Erfahrungen mit anderen Protease-Inhibitoren. Das Kombinationspräparat wurde insgesamt offenbar recht gut vertragen, Diarrhöen waren relativ häufig. Interaktionen mit anderen Arzneimitteln müssen beachtet werden.

1. HURST M, FAULDS D. Lopinavir.
    Drugs. 2000 Dec;60(6):1371-9.

2. Fachinformation KALETRA, März 2001, ABBOTT Laboratories, UK

 

Hinweis: Aktuelle Informationen in englischer Sprache über geeignete Arzneimittel, Behandlungsrichtlinien, aktuelle klinische Studien und andere Aspekte der antiretroviralen Therapie finden Sie unter www.aidsinfo.nih.go

 

 

Ergänzungen (Juli 2009)

 

Lopinavir gehört heute zu den primär empfohlenen Protease-Inhibitoren zur antiretroviralen Therapie bei nicht vorbehandelten Patienten.

 

Seit der Erstellung und Veröffentlichung dieses Artikels in der Zeitschrift für Chemotherapie (Heft 5, 2001) sind zahlreiche weitere Arbeiten über Lopinavir publiziert worden. Insbesondere soll an dieser Stelle auf die folgenden Arbeiten hingewiesen werden:

 

OLDFIELD V, PLOSKER GL. Lopinavir/ritonavir: a review of its use in the management of HIV infection.
Drugs. 2006;66(9):1275-99.


SMART STUDY GROUP, EL-SADR WM et al. CD4+ count-guided interruption of antiretroviral treatment.
N Engl J Med. 2006 Nov 30;355(22):2283-96.


VIOLARI A, COTTON MF et al. Early antiretroviral therapy and mortality among HIV-infected infants.
N Engl J Med. 2008 Nov 20;359(21):2233-44.

 

 

Ergänzung (März 2020)

 

Lopinavir unwirksam bei schwerkranken Patienten mit COVID-19

 

Anstelle von Lopinavir werden heute meist andere, besser verträgliche Proteaseinhibitoren, wie zum Beispiel Darunavir, zur antiretroviralen Therapie eingesetzt. Es gehört jedoch zu  den häufig genannten Arzneimitteln für eine mögliche Behandlung der COVID-19.

 

Ärzte in China behandelten 99 schwerkranke Patienten mit COVID-19 zusätzlich zu den Standardmaßnahmen mit Lopinavir/Ritonavir (2 x tgl. 400 mg/100 mg), 100 Patienten in der Kontrollgruppe erhielten nur die Standardtherapie. Die im NEJM veröffentlichten Ergebnisse sind enttäuschend.1 Der Proteaseinhibitor beeinflusste den klinischen Verlauf der Infektion mit SARS-CoV-2 nicht signifikant. Die Zeit bis zur klinischen Besserung lag in beiden Gruppen bei 16 Tagen. Ein geringer Unterschied in der Zahl der verstorbenen Patienten könnte durch Unterschiede bereits zu Beginn der Studie bedingt sein, die als offene Studie konzipiert und nicht verblindet war.2

 

1. Cao B, Wang Y, Wen D et al. Trial of Lopinavir-Ritonavir in Adults Hospitalized with Severe Covid-19. N Engl J Med. 2020 Mar 18 [Epub ahead of print] FREE FULL TEXT

 

2. Baden LR, Rubin EJ. Covid-19 - The Search for Effective Therapy. N Engl J Med 2020 Mar 18 [Epub ahead of print]  FREE FULL TEXT

 

 

 

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