Unveränderter Text aus ZCT Heft 4, 1984
Aktuelle Ergänzungen am Ende des Textes
Die klinische Erprobung von Josamycin (WILPRAFEN) begann 1967 in Japan.1 17 Jahre später steht das Makrolid-Antibiotikum auch bei uns unter dem
Handelsnamen WILPRAFEN zur Verfügung. Chemisch zeichnet es sich durch eine enge Verwandtschaft mit Erythromycin (ERYTHROCIN, ERYCINUM u.a.) aus, das sich seit langem besonders in der Pädiatrie
bewährt hat und neuerdings eine gewisse "Renaissance" bei der Behandlung der ambulant erworbenen Pneumonien erfahren hat. In dieser Situation erscheint es notwendig, die Eigenschaften der
Neueinführung mit denen des Standardpräparates zu vergleichen.
Beide Substanzen haben ein sehr ähnliches antibakterielles Spektrum. Neben grampositiven Erregern - S. pyogenes, Pneumokokken und Staphylokokken - werden
auch H. influenzae, B. pertussis und Neisserien erfaßt. Auch manche Anaerobier sowie Mykoplasmen sind empfindlich. In direkten mikrobiologischen Vergleichsuntersuchungen war Erythromycin dem
Josamycin überlegen: die minimalen Hemmkonzentrationen (MHK) waren im allgemeinen niedriger. So werden z.B. nach den Angaben einer amerikanischen Publikation2 mehr als 90% der getesteten
Staphylokokken-Stämme bereits durch 0,20 mg/l Erythromycin jedoch erst durch 1,56 mg/l Josamycin gehemmt. Unter den restlichen Stämmen waren allerdings einige, welche besser auf Josamycin ansprachen.
Diese Eigenschaft - die bessere Wirksamkeit bei Erythromycin-resistenten Staphylokokken - kann als Vorteil des Josamycin angesehen werden. Deutsche Mikrobiologen3 zeigten allerdings bereits vor zehn
Jahren, daß "Resistenz gegen Erythromycin bei 100 untersuchten Staphylokokken-Stämmen oft auch zu erhöhter Unempfindlichkeit gegen Josamycin führt". Auf der Basis dieser Befunde erscheinen manche
Aussagen im Basisprospekt des Herstellers unhaltbar (z.B.: "Überlegene Wirksamkeit insbesondere bei Staphylococcus aureus").
Das Antibiotikum wird nach oraler Gabe rasch resorbiert und erreicht maximale Serumspiegel nach 1-2 Stunden. Sein großes Verteilungsvolumen deutet auf eine
Anreicherung in verschiedenen Geweben (Lunge, Tonsillen). Die Eliminationshalbwertzeit lag nach einmaliger Gabe bei 1,5 Stunden; sie verlängerte sich nach wiederholter Applikation auf 5,8 Stunden.4
Nach der Metabolisierung in der Leber erfolgt die Ausscheidung überwiegend biliär. Nur ein geringer Anteil (ca. 5%) wird renal eliminiert.
Klinische Erfolgsquoten von 70, 80 oder sogar über 90% wurden beim Einsatz des Präparates bei zahlreichen Indikationen erzielt (HNO-Infekte, Infekte der
Atemwege, dermatologische Infekte u.a.).4 Zu einigen Angaben der Einführungsbroschüre wären weitere Informationen wünschenswert. So wird z.B. der "klinische Erfolg" bei Otitis externa - einer
Erkrankung, die häufig durch den Josamycin-resistenten Keim Pseudomonas aeruginosa verursacht wird - mit 96,9% angegeben. - Zuverlässige Informationen über die klinische Wirksamkeit neuer Substanzen
können nur Vergleichsstudien mit etablierten Chemotherapeutika liefern. In einer prospektiven, randomisierten Studie wurde an je 20 Kindern, die wegen Atemwegsinfektionen stationär behandelt wurden,
"die klinische Äquivalenz von Josamycin und Erythromycin" festgestellt.4 Ähnliche Schlußfolgerungen wurden auch in anderen Untersuchungen gezogen. Beide Antibiotika weisen eine geringe
Nebenwirkungsrate auf. Sie wird für Josamycin mit 4,3% angegeben4 und betrifft in erster Linie leichte gastrointestinale Störungen. Da die Makrolid-Antibiotika ein potentielles Cholestase-Risiko
aufweisen, wären genaue Angaben hierzu auch beim Josamycin sinnvoll.
Josamycin (WILPRAFEN) ist ein Makrolid-Antibiotikum mit ähnlichen antibakteriellen Eigenschaften wie Erythromycin (ERYTHROCIN, ERYCINUM u.a.). Ein Vorteil
der neuen Substanz kann in der geringfügig niedrigeren Resistenzquote gegenüber Staphylokokken gesehen werden. Da Makrolid-Antibiotika jedoch nicht zu den Mitteln der ersten Wahl gehören, bleibt
abzuwarten, ob sich auch in der praktischen Anwendung ein Vorteil erkennen lassen wird. Die bisher vorliegenden klinischen Vergleichsuntersuchungen lassen keinen therapeutischen Fortschritt erkennen.
Die markigen Aussagen zu den Eigenschaften des Josamycin im Basisprospekt des Herstellers erscheinen revisionsbedürftig.
1 KUCERS, A., BENNETT, N.M.
"The use of antibiotics", WHM Books, London 1982
SHADOMY, S. et al.
Antimicrob. Agents Chemother. 10: 773-775, 1976
3 BOCK, D., RITZERFELLD, W.
Arzneim. Forschg. 24: 140-141, 1974
4 WILPRAFEN-Einführungsbroschüre
H. Mack Nachf., Illertissen
SHADOMY, S. et al.
Antimicrob. Agents Chemother. 10: 773-775, 1976
Josamycin weist im Vergleich mit Erythromycin keine Vorteile auf.
Die neueren halbsynthetischen Makrolide und Azalide, wie Clarithromycin oder Azithromycin, werden bevorzugt angewandt
Josamycin ist in Deutschland nicht mehr im Handel.