Grepafloxacin - ein Fluorchinolon mit guter Aktivität gegen grampositive Erreger

Originaltext aus ZCT 05-1997
Aktuelle Ergänzungen am Ende des Textes

Mit
Sparfloxacin (ZAGAM) wurde vor einigen Monaten erstmals ein Fluorchinolon eingeführt, das im Vergleich zu den älteren Substanzen dieser Arzneimittelgruppe eine verbesserte Aktivität gegen grampositive Bakterien aufweist. Das neue Grepafloxacin (VAXAR) besitzt ein ähnliches antibakterielles Spektrum wie Sparfloxacin und ist damit ebenfalls bei Infektionen durch grampositive Bakterien anwendbar. Von seiner chemischen Struktur her weist Grepafloxacin eine enge Verwandtschaft mit Ciprofloxacin (CIPROBAY) auf: die Formeln der beiden Substanzen unterscheiden sich lediglich durch zwei Methylgruppen.[1]

Strukturformel Grepafloxacin

Antibakterielle Eigenschaften

Die antibakterielle Wirkung der Fluorchinolone wird im allgemeinen durch ihre Wirkung auf das bakterielle Enzym "Gyrase" (Topoisomerase II) erklärt. Eine entsprechende Wirkung besitzt auch Grepafloxacin, jedoch gibt es weitere Mechanismen, die zu der bakteriziden Aktivität der Fluorchinolone beitragen (z. B. Hemmung der Topoisomerase IV). Grepafloxacin hemmt unter anderem zahlreiche klinisch wichtige grampositive Bakterien. Dazu gehören zum Beispiel S. pneumoniae oder S. aureus. Im Vergleich zu Ciprofloxacin oder Ofloxacin (TARIVID) besteht zwar eine deutliche Aktivitätssteigerung gegenüber diesen Erregern, doch muß bedacht werden, daß bei Patienten in der Klinik isolierte Staphylokokken, die hoch-resistent gegenüber Ciprofloxacin sind, auch durch Grepafloxacin nicht erfaßt werden.[2] Von besonderer Bedeutung ist zweifellos die höhere Aktivität des neuen Chinolons gegen Pneumokokken. Grepafloxacin wirkt etwa vierfach stärker als Ciprofloxacin gegen diese wichtigen Erreger von Atemwegsinfektionen. Angesichts der Tatsache, daß in vielen Ländern Pneumokokken zunehmend resistent gegenüber Penicillin und anderen ß-Laktamantibiotika sind, ist es bedeutsam, daß Grepafloxacin auch diese Stämme bei Konzentrationen von < 1 mg/l hemmt.
Ausgezeichnete Aktivität besteht gegenüber Haemophilus influenzae und Moraxella catarralis: alle Stämme werden in der Regel durch Konzentrationen von weniger als 0,06 mg/l gehemmt. Auch gegen andere wichtige Erreger von Atemwegsinfektionen, Legionella pneumophila, Chlamydia pneumoniae und Mykoplasma pneumoniae besteht in vitro eine gute Aktivität.
Die Aktivität gegenüber den gramnegativen Entero-bacteriaceae, wie E. coli, Proteus-Arten oder Klebsiella pneumoniae, ist etwa gleich gut oder etwas geringer als die von Ciprofloxacin.

Pharmakokinetische Eigenschaften

Die Spitzenkonzentration nach Einnahme von 400 mg Grepafloxacin liegt etwa 2 Stunden nach der Einnahme bei 1,5 mg/l. Die Eliminationshalbwertzeit beträgt etwa 11 bis 12 Stunden, das Verteilungsvolumen wird mit 5 l/kg angegeben, die Proteinbindung beträgt etwa 50 %. Etwa 10% einer oral verabreichten Dosis werden unverändert im Urin ausgeschieden und ein Drittel der Dosis läßt sich innerhalb von drei Tagen nach der Einnahme unverändert in den Fäces nachweisen. Eine gleichzeitig gegebene Mahlzeit hatte keinen signifikanten Einfluß auf die Bioverfügbarkeit des Medikamentes. Grepafloxacin erreicht wie die meisten anderen Chinolone hohe Konzentrationen in pulmonalen Sekreten und Zellen.

Grepafloxacin wird überwiegend hepatisch eliminiert. Bei Patienten mit leichter Leberinsuffizienz soll die Maximaldosis 400 mg pro Tag betragen. Patienten mit mittlerer und schwerer Leberinsuffizienz sollten nicht mit Grepafloxacin behandelt werden. Da nur ein relativ kleiner Anteil von Grepafloxacin unverändert renal eliminiert wird, ergibt sich keine Notwendigkeit, die Dosierung bei Patienten mit Niereninsuffizienz einzuschränken. Bei älteren Probanden (etwa 70 Jahre alte Frauen) zeigte sich im Vergleich zu jungen Menschen ein verändertes pharmakokinetisches Verhalten, das vor allem mit einem reduzierten Verteilungsvolumen erklärt wurde.[3]

Therapeutische Wirksamkeit

Die übliche Dosierung von Grepafloxacin beträgt 1 mal täglich 400 mg oder 600 mg. Es kommt vor allem zur Behandlung von Infektionen der Atemwege in Frage. In vergleichenden klinischen Studien bei inzwischen mehr als 3.000 Patienten, die überwiegend doppelblind durchgeführt wurden, war Grepafloxacin mindestens immer gleich gut oder besser wirksam, als die Vergleichsmedikation [z. B. Amoxicillin (CLAMOXYL u. a.) oder Ofloxacin].

Unerwünschte Wirkungen, Interaktionen

Gastrointestinale Beschwerden sind die häufigsten unerwünschten Wirkungen, die während der klinischen Erprobung von Grepafloxacin registriert wurden. Nach einer Behandlung in einer Dosierung von 400 mg pro Tag liegen die Inzidenzen dieser unerwünschten Wirkungen bei etwa 10%, doch muß bei höherer Dosierung mit häufigeren Nebenwirkungen gerechnet werden. Geschmacks-veränderungen (vorwiegend metallischer Geschmack) wurden bei 9 bzw. 17% der Patienten unter der Therapie mit 400 oder 600 mg Grepafloxacin registriert. Die Abbruchrate während der klinischen Prüfung lag unter der Behandlung mit 400 mg bei 2,5%, unter der Gabe von 600 mg war die Quote mehr als doppelt so hoch (6,4%). Ein abschließendes Urteil zur Verträglichkeit kann - wie bei jedem Arzneimittel zum Zeitpunkt der Einführung - derzeit noch nicht erfolgen. Die bisherigen Daten deuten jedoch auf eine akzeptable Nutzen/Risiko-Relation hin.
Grepafloxacin kann eine Verlängerung des QT-Intervalls auslösen, die zu Torsades de Pointes führen können. Daher ist eine Anwendung des Chinolons bei Patienten mit bestimmten kardialen Vorerkrankungen (Herzrhythmusstörungen, Herzinsuffizienz, Hypokaliämie etc.) oder bei gleichzeitiger Anwendung von anderen Arzneistoffen, die das QT-Intervall verlängern (Antiarrhythmika der Klassen IA und III) nicht indiziert.
Hinsichtlich des phototoxischen Potentials bestehen keine wesentlichen Unterschiede zwischen Grepafloxacin und Ciprofloxacin.
Das Risiko für phototoxische Hautveränderungen ist bei einer Therapie mit diesen Chinolonen geringer als bei einer Behandlung mit Sparfloxacin.
Grepafloxacin hemmt den Metabolismus von Theophyllin (EUPHYLLIN u.a.). Bei gleichbleibender Dosierung des Bronchodilatators kommt es zu höheren Plasmaspiegeln mit entsprechender Unverträglichkeitssymptomatik. Eine entsprechende Interaktion wurde bereits bei einer niedrigen Dosierung von Grepafloxacin (200 mg) beobachtet - mit einer deutlicheren Interaktion muß bei höheren Dosen gerechnet werden. Die Theophyllin Erhaltungsdosis muß bei gleichzeitiger Gabe der Arzneimittel halbiert werden; im Zweifelsfall sollte der Theophyllinspiegel überprüft werden.[4]


ZUSAMMENFASSUNG

Grepafloxacin (VAXAR) ist ein neues Fluorchinolon, das sich vor allem durch eine gute Aktivität gegen wichtige Erreger von Atemwegsinfektionen auszeichnet (Pneumokokken, Hämophilus, Legionellen, Mykoplasmen, Chlamydien u. a.). Eine relativ lange Halbwertzeit (ca. 10 - 12 Stunden) erlaubt die 1-mal tägliche Gabe. In ersten klinischen Studien erwies sich Grepafloxacin als mindestens gleich gut wirksam wie Amoxicillin (CLAMOXYL u. a.) oder Ofloxacin (TARIVID). Grepafloxacin hemmt den Metabolismus von Theophyllin (EUPHYLLIN u. a.). Bei den unerwünschten Wirkungen stehen die gastrointestinalen Störungen im Vordergrund. Weitere klinische Studien müssen durchgeführt werden, um dieses neue Arzneimittel hinsichtlich der Vor- und Nachteile im Vergleich zu länger bekannten antibakteriellen Chemotherapeutika besser beurteilen zu können. Grepafloxacin stellt sicherlich eine interessante therapeutische Option bei bakteriellen Atemwegsinfektionen dar.

1. WAGSTAFF AJ, BALFOUR JA. Grepafloxacin.
Drugs. 1997 May;53(5):817-24.

2. THOMSON KS, SANDERS CC. Dissociated resistance among fluoroquinolones.
Antimicrob Agents Chemother. 1994 Sep;38(9):2095-100.

3. KOZAWA O, UEMATSU T et al. Comparative study of pharmacokinetics of two new fluoroquinolones, balofloxacin and grepafloxacin, in elderly subjects.
Antimicrob Agents Chemother. 1996 Dec;40(12):2824-8.

4. NIKI Y, HASHIGUCHI K et al. Quinolone antimicrobial agents and theophylline.
Chest. 1992 Mar;101(3):881.

 

Ergänzungen (September 2007)


Die Firma Glaxo Wellcome hat am 27. Oktober 1999 entschieden, Grepafloxacin (VAXAR) sofort vom Markt zu nehmen.

Grepafloxacin wurde im Herbst 1997 in Deutschland zugelassen und danach in insgesamt 36 Ländern weltweit eingeführt. Etwa 2,7 Mill. Patienten sind mit Grepafloxacin behandelt worden - vorwiegend in den Vereinigten Staaten und in Deutschland. Die Entscheidung der freiwilligen Rücknahme dieser Substanz durch den pharmazeutischen Hersteller beruhte auf einer Risikoanalyse der bisherigen Behandlungen. Es waren bei einigen wenigen Patienten Herzrhythmus-störungen aufgefallen mit Bewußtseinsverlust; insgesamt sieben Todesfälle im Zusammenhang mit diesen Reaktionen wurden beobachtet - fünf in Deutschland, einer in den USA und einer in Frankreich. Schon bei der Einführung war bekannt, daß Grepafloxacin eine Verlängerung des QT-Intervalls auslösen kann. Diese kardiale Unverträglichkeitsreaktion wurde allerdings unter therapeutischen Bedingungen als unproblematisch eingestuft.

Die FDA zeigte sich von dieser Entscheidung überrascht und verwies auf die Tatsache, daß gleichwertige und besser verträgliche Antiinfektiva für alle Grepafloxacin-Indikationen zur Behandlung zur Verfügung stehen.

KOMMENTAR DER REDAKTION:

 

Die Fluorchinolone sind eine Gruppe von Antiinfektiva, die immer wieder auch nach der Zulassung für unangenehme Überraschungen sorgen. Begonnen mit Temafloxacin (urämisch-hämolytisches Syndrom) über Trovafloxacin (Leberversagen) bis jetzt zum Grepafloxacin (QT-Verlängerung) sind Fluorchinolone trotz sehr sorgfältiger toxikologischer präklinischer und klinischer Analysen erst nach umfangreichem therapeutischem Einsatz bei einer großen Patientenanzahl wegen gravierender Unverträglichkeits-reaktionen vom Markt genommen worden. Diese Abläufe zeigen, daß selbst umfangreiche Studien der Phasen II und III mit vielen tausend Patienten nicht ausreichen, um sehr seltene bedeutsame Unverträglichkeitsreaktionen frühzeitig zu erkennen.

 

 

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