Gatifloxacin - Zuwachs bei den Chinolonen

Originaltext aus Heft 5, 2001
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Aktuelle Ergänzungen am Ende des Textes

Die Entwicklung der Fluorchinolone war in den vergangenen Jahren von einigen Rückschlägen geprägt – etliche Substanzen aus dieser Gruppe wurden kurz nach der Einführung aus toxikologischen Gründen wieder vom Markt genommen oder die klinische Prüfung wurde kurz vor der Einführung gestoppt. Andererseits konnten sich auch einige neue Chinolone, wie Levofloxacin (TAVANIC) oder Moxifloxacin (AVALOX), behaupten und verzeichnen heute eine zunehmende Verwendung bei Infektionen der Atem- oder der Harnwege. Die Arzneimittelgruppe der Chinolone wird jetzt durch Gatifloxacin (BONOQ) erweitert.[1]

 

Dieses Derivat ist in den USA bereits seit über einem Jahr im Handel, so dass sich die Vor- und Nachteile des neuen Arzneimittels auf der Basis der internationalen Erfahrungen recht gut abschätzen lassen. Im Gegensatz zur Marktlage in den USA steht das neue Arzneimittel bei uns leider vorerst nicht zur intravenösen Therapie zur Verfügung, obwohl durchaus Indikationen für eine intravenöse Anwendung bestehen.

Der Blick auf die chemische Struktur zeigt eine weitgehende Übereinstimmung mit Moxifloxacin – nur der Substituent in Position 7 ist unterschiedlich. Da die Substanzen auch in ihren antimikrobiellen und pharmakologischen Eigenschaften Ähnlichkeiten aufweisen, werden beide in die Gruppe 4 nach PEG eingeordnet (Einteilung nach PEG, s. ZCT 1998; 19:27-28).

Strukturformel Gatifloxacin

Antibakterielle Aktivität


Die antibakterielle Aktivität von Gatifloxacin richtet sich gegen ein breites Spektrum von grampositiven, gramnegativen, anaeroben und atypischen Erregern. Staphylokokken und Streptokokken werden in vitro durch eine Konzentration von < 0,5 mg/l gehemmt. Auch andere, klinisch wichtige Erreger von Infektionen der Atemwege, wie H. influenzae, Legionellen, Chlamydien und Mykoplasmen, sind hoch empfindlich gegen Gatifloxacin.[1,2,3]

Pharmakokinetische Eigenschaften

Nach oraler Gabe wird Gatifloxacin rasch und vollständig resorbiert. Nach der Einnahme von 400 mg einmal täglich liegen die maximalen Spiegel bei etwa 4 mg/l und die Talspiegel bei 0,4 mg/l. Die Proteinbindung ist mit 20% relativ niedrig, die Gewebegängigkeit gut; das Verteilungsvolumen wurde mit 1,5 bis 2,0 l/kg berechnet. Gatifloxacin wird mit einer Eliminationshalbwertzeit von etwa 7 Stunden überwiegend (> 70%) unverändert renal eliminiert. In diesem Punkt besteht also ein deutlicher Unterschied zu Moxifloxacin, das überwiegend hepatisch metabolisiert und eliminiert wird.[4,5,6]

Bei renaler Insuffizienz (Kreatinin-Clearance < 40 ml/min) oder bei Patienten mit Hämodialyse bzw. CAPD soll nach Gabe einer regulären Initialdosis von 400 mg die Dosis auf 200 mg pro Tag reduziert werden.

Klinische Wirksamkeit

In zahlreichen klinischen Studien wurden die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Gatifloxacin untersucht. Dabei erwies sich das Chinolon als gleich bzw. besser wirksam wie die Vergleichssubstanzen. Dies gilt zum Beispiel für Infektionen der Atemwege wie die ambulant erworbene Pneumonie, für die akute Exacerbation der chronischen Bronchitis oder für die Sinusitis [Vergleich mit Clarithromycin (KLACID) und Coamoxiclav (AUGMENTAN)]. Das renal eliminierte Gatifloxacin ist aber auch für Infektionen der Harnwege anwendbar [Vergleich mit Ciprofloxacin (CIPROBAY)]. Da sich auch hinsichtlich der Verträglichkeit bei einer Gesamtbetrachtung der unerwünschten Reaktionen keine signifikanten Unterschiede zu den anderen Antiinfektiva ergaben, kann Gatifloxacin als wirksam und verträglich eingestuft werden. Für Gatifloxacin spricht sicherlich das Patienten-freundliche Einnahmeschema von einmal täglich einer Tablette zu 400 mg. Generell ist allerdings kritisch anzumerken, dass bei einem zunehmendem Gebrauch der Chinolone insgesamt im ambulanten Bereich mit einer zunehmend raschen Resistenzentwicklung gerechnet werden muß. Es ist also durchaus empfehlenswert, bei den genannten Indikationen weiterhin auch bewährte Therapeutika wie Amoxicillin (CLAMOXYL u.a.) oder Makrolide einzusetzen.

Unerwünschte Wirkungen


Aus der bisherigen Erfahrung mit Chinolonen sind einige "Schwachstellen" in der Verträglichkeit bekannt. Daher soll besonders betont werden, dass Gatifloxacin nach den bisherigen Erfahrungen als gut verträglich angesehen werden kann. Am häufigsten traten gastrointestinale Störungen auf, allergische Reaktionen sind selten. ZNS-Wirkungen wurden während der Therapie mit Gatifloxacin nicht in erhöhtem Maße beobachtet. Angesichts der umfangreichen Erfahrungen mit diesem Medikament seit über zwei Jahren in den USA ist bekannt, dass seltene, schwerwiegende unerwünschte Wirkungen (z.B. hepatotoxische oder kardiotoxische Reaktionen) offenbar nicht auftreten. Allerdings verursacht auch Gatifloxacin, ähnlich wie Moxifloxacin, eine im Mittel zwar sehr geringe Verlängerung des QT-Intervalls, die aber bei Personen mit angeborener QT-Verlängerung oder bei gleichzeitiger Gabe von Antiarrhythmika wie Amiodaron (CORDAREX u.a.) einen Risikofaktor für Arrhythmien darstellen. Eine gleichzeitige Gabe von Antiarrhythmika sollte bei einer Therapie mit Chinolonen daher nicht erfolgen.[1,6,7]

Interaktionen

 

Interaktionen durch Hemmung der hepatischen Monooxygenasen wurden bei Behandlung mit Gatifloxacin nicht beobachtet, insbesondere besteht damit keine Kontraindikation für eine gleichzeitige Gabe von Theophyllin (EUPHYLLIN u.a.; s. ZCT 2000; 21:47). Bei gleichzeitiger Gabe von Digoxin (LANICOR u.a.) und Gatifloxacin wurden – ähnlich wie unter Moxifloxacin – erhöhte Digoxinspiegel gemessen. Es bestand eine hohe individuelle Variabilität bei dieser Interaktion, doch waren bei einigen Personen die Digoxinspiegel verdoppelt, was angesichts der geringen therapeutischen Breite des Glykosids bedenklich erscheint. Beachtet werden muß auch die Interaktion mit mineralischen Antazida: mit mehrwertigen Metallen bilden alle Chinolone Chelatkomplexe, wodurch die Resorption erheblich eingeschränkt sein kann.[6,7]

 

ZUSAMMENFASSUNG


Gatifloxacin (BONOQ) ist ein neues Chinolon mit guter Aktivität gegen klinisch relevante Erreger von Infektionen der Atem- und der Harnwege. Es steht zur oralen Therapie dieser Infektionen zur Verfügung. Die Bioverfügbarkeit ist gut, die Substanz wird überwiegend unverändert renal eliminiert. Die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Gatifloxacin waren vergleichbar mit gebräuchlichen Antiinfektiva aus anderen Wirkstoffklassen.

1. PERRY CM, BARMAN BALFOUR JA et al. Gatifloxacin.  Drugs. 1999 Oct;58(4):683-96.

2. SARAVOLATZ L, MANZOR O et al. Antimicrobial activity of moxifloxacin, gatifloxacin and six fluoroquinolones against Streptococcus pneumoniae. J Antimicrob Chemother. 2001 Jun;47(6):875-7.

3. REINERT RR, AL-LAHHAM A et al. In vitro activity of gatifloxacin against Streptococcus pneumoniae isolates in Germany. J Antimicrob Chemother. 2000 Nov;46(5):854-6.

4. LUBASCH A, KELLER I et al. Comparative pharmacokinetics of ciprofloxacin, gatifloxacin, grepafloxacin, levofloxacin, trovafloxacin, and moxifloxacin after single oral administration in healthy volunteers. Antimicrob Agents Chemother. 2000 Oct;44(10):2600-3.

5. NABER CK, STEGHAFNER M et al. Concentrations of gatifloxacin in plasma and urine and penetration into prostatic and seminal fluid, ejaculate, and sperm cells after single oral administrations of 400 milligrams to volunteers. Antimicrob Agents Chemother. 2001 Jan;45(1):293-7.

6. GRASELA DM. Clinical pharmacology of gatifloxacin, a new fluoroquinolone. Clin Infect Dis. 2000 Aug;31 Suppl 2:S51-8

 

7. TEQUIN, Bristol-Myers Squibb,
Full Prescribing Information


Ergänzung (Januar 2004)


Gatifloxacin (BONOQ) wurde mit Beginn des Jahres 2004 in Deutschland aus dem Handel genommen. Es ist in den USA unter dem Handelsnamen TEQUIN (Hersteller: Bristol-Myers Squibb) nach wie vor erhältlich.

Ergänzung (März 2004)


Gatifloxacin-Vertrieb in Europa eingestellt.

Gatifloxacin (BONOQ) gehört zur Klasse IV der neueren Fluorchinolone und befand sich seit November 2001 in Deutschland im Handel. Die Substanz verfügt über eine gute Wirksamkeit gegenüber gramnegativen und grampositiven Keimen und war in Deutschland für ein relativ breites Indikationsspektrum zugelassen worden. Die lange Halbwertzeit der Substanz und die günstige Pharmakodynamik erlaubte eine einmal tägliche 400mg Dosis. Im Rahmen der Zulassungsbemühungen für alle europäischen Staaten wurden von der EMEA in London die vereinzelt aufgetretenen hypo- und hyperglykämischen Unverträglichkeitsreaktionen dieser Substanz neu bewertet und das Nutzen-Risiko-Verhältnis anders als von der FDA eingestuft. Während in den USA mehrere Millionen Patienten mit dieser Substanz behandelt wurden und weiterhin werden, reduzierten die europäischen Zulassungsbehörden die Indikationen auf ambulant erworbene Pneumonie und komplizierte Harnwegsinfektionen.
Auf der Basis dieser erheblichen Einschränkungen der Indikationsgebiete entschloss sich die verantwortliche pharmazeutische Firma, Grünenthal AG Aachen, die Substanz vom europäischen Markt zu nehmen. Im deutschen Spontanerfassungssystem unerwünschter Arzneimittel-wirkungen wurden bis zum 18.12.2003 insgesamt 55 Meldungen zu Gatifloxacin erfasst, von denen sich sieben (12,7%) auf eine Hypoglykämie bezogen. Im Vergleich dazu ergab sich bei 4.768 Berichten zur Gesamtgruppe der Fluorchinolone nur ein Anteil von 19 Fällen (0,4%) an Hypoglykämien.


1. Eigenrecherche
2. Deutsches Ärzteblatt 2004; 101: 310

 

 

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