Ganciclovir - ein Virustatikum zur Behandlung von schweren Zytomegalie-Virus-Infektionen

Unveränderter Text aus ZCT Heft 1, 1990

Aktuelle Ergänzungen am Ende des Textes

Ganciclovir (CYMEVEN) ist ein synthetisches Nukleosid-Analogon mit enger chemischer Verwandtschaft zum Aciclovir (ZOVIRAX). Während der klinischen Erprobung ist es auch als "DHPG" bekannt geworden, eine Abkürzung, die sich von der chemischen Nomenklatur Dihydroxy-2-propoxymethyl-Guanin ableitet. Ganciclovir hemmt in vitro (Untersuchungen an Zellkulturen) verschiedene Viren der Herpes-Gruppe bereits bei Konzentrationen, die deutlich unter den in vivo erreichbaren Spiegeln liegen. Wegen der relativ ungünstigen Pharmakokinetik und Toxizität der Substanz kommt es therapeutisch jedoch nur bei sehr wenigen Indikationen in Frage.

Wirkungsmechanismus und in vitro-Aktivität

Intrazellulär wird Ganciclovir zunächst durch zelluläre Kinasen in das entsprechende Triphosphat umgewandelt. Die erhöhte Aktivität dieser Enzyme in infizierten Zellen bewirkt eine etwa zehnfach höhere Konzentration des Triphosphates in Virus-infizierten im Vergleich zu nicht-infizierten Zellen. Das biologisch aktive Derivat (Triphoshat) wird in die DNA der Zelle anstelle des physiologischen Substrates eingebaut und bewirkt eine Hemmung der DNA-Replikation. Die "antivirale" Aktivität der Substanz läßt sich also durch eine Schädigung elementarer Zellfunktionen erklären, die bevorzugt - aber nicht ausschließlich - in Virus-infizierten Zellen abläuft [1].

Zum "Spektrum" des Ganciclovir gehören neben Zytomegalie-Viren auch die Herpes simplex Viren Typ 1 und 2 sowie das Epstein-Barr- und das Varizella-Zoster-Virus.

Pharmakokinetik


Da die orale Bioverfügbarkeit der Substanz gering ist (< 5%), steht Ganciclovir nur zur intravenösen Infusion zur Verfügung. Der Hersteller gibt folgende praktische Hinweise für den Umgang mit dem Präparat [2]: Die Infusionslösung ist stark alkalisch (pH 11) und sollte aus Verträglichkeitsgründen nur in genügend große Venen appliziert werden. Das Medikament darf wegen der Gefahr von Gewebsschäden nicht intraarteriell, subkutan oder intramuskulär verabreicht werden. Bei der Herstellung der Infusionslösung sollten Handschuhe und Schutzbrille verwendet werden, um einen direkten Kontakt mit dem Wirkstoff zu verhindern.

Wegen der relativ hohen Toxizität liegen keine pharmakokinetischen Untersuchungen bei gesunden Probanden vor. Die Angaben zur Pharmakokinetik stammen deshalb ausschließlich von Patienten [3]. Nach i.v.-Gabe einer üblichen Dosis von 5 mg/kg KG als einstündige Dauerinfusion bei Patienten mit normaler Nierenfunktion ergeben sich mittlere Plasmakonzentrationen von etwa 6 mg/l (= 24 µM). Es wurden Eliminationshalbwertzeiten zwischen 1,5 und 3 Stunden ermittelt. Die Elimination der Substanz erfolgt ganz überwiegend unverändert über die Nieren; die Serum-Proteinbindung beträgt etwa 1 - 2%.

Die (begrenzten) Erfahrungen bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion zeigen einen kontinuierlichen Abfall der Plasma-Clearance (und damit eine Verlängerung der Halbwertzeit) bis auf 0,33 ml/min/kg Körpergewicht (Halbwertzeit: ca. 30 Stunden) bei einem Plasma-Kreatininwert von > 400 µmol/l. Die Dosierung muß bei diesen Patienten entsprechend angepaßt werden.

Indikationen und Dosierungen


Eine Behandlung mit Ganciclovir ist primär indiziert bei Patienten mit schwerwiegenden Zytomegalie-Virus-Infektionen1. Dabei handelt es sich in der Regel um immunsupprimierte Patienten (AIDS-, Transplantations- oder Krebs-Patienten), deren Leben oder Augenlicht durch die Virusinfektion bedroht ist. Auch bei anderen klinischen Manifestationen der CMV-Infektion (Gastrointestinaltrakt, Lunge, ZNS) bei immungeschwächten Patienten kommt eine Behandlung in Frage. In klinischen Studien konnte bei etwa zwei Drittel der Patienten eine Besserung der Symptomatik unter Ganciclovir gesehen werden; das Fortschreiten einer CMV-Retinitis wurde aufgehalten. Zur Problematik der CMV-Infektionen (Diagnose und klinische Manifestationen) wird auf einen Übersichtsartikel in einer früheren Ausgabe dieser Zeitschrift verwiesen ("ZCT" 10: 12-13, 1989, Archiv).

Bei normaler Nierenfunktion werden zur Initialtherapie zwei Wochen lang 5 mg Ganciclovir/kg Körpergewicht alle 12 Stunden infundiert. Es schließt sich eine Erhaltungstherapie mit 6 mg Ganciclovir/kg Körpergewicht täglich (fünf Tage pro Woche) oder 5 mg Ganciclovir/kg Körpergewicht täglich (sieben Tage pro Woche) an. Bei eingeschränkter Nierenfunktion wird die Dosierung während der zweiwöchigen Initialtherapie nach den Angaben des Herstellers entsprechend den Serum-Kreatinin-Werten reduziert; zur Erhaltungstherapie wird diese Dosis halbiert und als tägliche Einzelgabe verabreicht.

Unerwünschte Wirkungen


Im Vergleich zu anderen Virustatika [z.B. Aciclovir] besitzt Ganciclovir ein deutlich höheres toxisches Potential. Es wirkt allgemein zytotoxisch, was sich besonders bei rasch proliferierenden Geweben manifestiert; es wurde im Tierexperiment als teratogen und kanzerogen erkannt.

Während der Behandlung mit Ganciclovir wurden häufig Blutbildveränderungen beobachtet. Bei etwa 40% der Patienten kam es zu schweren Neutropenien (< 1000 Neutrophile/µl) und bei 20% der Behandelten zu Thrombozytopenien (< 50000 Thrombozyten/µl). Bei ein bis zehn Prozent der Behandelten wurden die folgenden Begleiterscheinungen registriert: Anämie, Eosinophilie, Veränderungen von Leber- und Nierenfunktion (Erhöhung der Transaminasen sowie der Harnstoff- und Kreatinin-Konzentrationen im Plasma), ZNS-Symptome, wie z.B. Schwindel, Kopfschmerzen, Halluzinationen und Krämpfe, ferner Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö sowie Hauterscheinungen. Selten - d.h. bei weniger als ein Prozent der Patienten - traten unter anderem die folgenden Symptome auf: Herzrhythmusstörungen, Angstzustände, Ataxie, Hämatemesis, Hämaturie, Alopezie und Schwerhörigkeit. Da diese Liste keineswegs einer vollständigen Zusammenstellung der vom Hersteller angegebenen Begleiterscheinungen entspricht, wird deutlich, daß die Nutzen/Risiko-Abwägung nur bei schwerkranken Patienten (vitale Indikation; Bedrohung des Augenlichtes) mit CMV-Infektionen zugunsten eines Einsatzes des Präparates ausfällt.

ZUSAMMENFASSUNG:

 

Ganciclovir (CYMEVEN) ist ein neues Virustatikum, das in vitro gegen verschiedene Viren der Herpes-Gruppe aktiv ist. Da es nur intravenös verabreicht werden kann und erhebliche unerwünschte Wirkungen (Blutbild, Gastrointestinaltrakt!) bei Anwendung des Chemotherapeutikums in Kauf genommen werden müssen, kommmt eine Behandlung mit Ganciclovir nur bei immunsupprimierten Patienten mit schweren Infektionen durch Zytomegalie-Viren in Frage.

 

1. MATTHEWS, T. und BOEHME, R. Rev. Inf. Dis. 10 (Suppl. 3): 490-494, 1988


2. Fachinformation des Herstellers (Syntex Arzneimittel, 5100 Aachen)


3. SOMMADOSSI, J.-P. et al. Rev. Inf. Dis. 10 (Suppl. 3): 507-514, 1988

 

Ergänzungen (Dezember 2008)

 

Seit der Erstellung und Veröffentlichung dieses Artikels in der Zeitschrift für Chemotherapie (Heft 1, 1990) sind zahlreiche weitere Arbeiten über Ganciclovir publiziert worden. Insbesondere soll an dieser Stelle auf die folgende Arbeit hingewiesen werden:

 

Noble, S., Faulds, D. Ganciclovir. An update of its use in the prevention of cytomegalovirus infection and disease in transplant recipients.Drugs 1998;56:115-146

Markham, A., Faulds, D. Ganciclovir. An update of its therapeutic use in cytomegalovirus infection. Drugs 1994;48: 455-484

BIRON KK. Antiviral drugs for cytomegalovirus diseases.

 

Antiviral Res. 2006 Sep;71(2-3):154-63. Epub 2006 May 23.

HODSON EM, JONES CA et al. Antiviral medications to prevent cytomegalovirus disease and early death in recipients of solid-organ transplants: a systematic review of randomised controlled trials. Lancet. 2005 Jun 18-24;365(9477):2105-15.

 

ANDUZE-FARIS BM, FILLET AM et al. Induction and maintenance therapy of cytomegalovirus central nervous system infection in HIV-infected patients. AIDS. 2000 Mar 31;14(5):517-24.

 

 

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