Fomivirsen - ein neues Therapieprinzip bei CMV-Retinitis

Originaltext aus ZCT 03-2000
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Ergänzungen am Ende des Textes

Die Behandlungsmöglichkeiten von Zytomegalievirus-Infektionen (CMV) sind unbefriedigend. Die bisher zugelassenen Chemotherapeutika greifen in den DNA-Stoffwechsel ein und weisen eine nicht unerhebliche Toxizität auf [Ganciclovir (CYMEVEN), Foscarnet (FOSCAVIR), Cidofovir (VISTIDE)]. Mit Fomivirsen (VITRAVENE) wird nun eine weitere Alternative zur Therapie der CMV-Retinitis bei Aids-Patienten eingeführt. Diesem Medikament wird besondere Aufmerksamkeit zuteil, weil es das erste therapeutisch verwendete Antisense-Arzneimittel ist. 1,2

Antivirale Wirkung


Fomivirsen ist ein Phosphorthioat Oligonukleotid. Die Nukleotidsequenz von Fomivirsen ist komplementär zu einer Sequenz in der Boten-RNA (mRNA) des Virus ('Antisense'). Wahrscheinlich hemmt Fomivirsen durch seine Bindung an die Ziel-mRNA die Proteinsynthese und die Virusreplikation. In-vitro-Studien haben gezeigt, dass möglicherweise auch Non-Antisense-Mechanismen zur gesamten antiviralen Aktivität beitragen. Bei Zugrundelegung molarer Konzentrationen war die Wirkstärke von Fomivirsen mindestens 40-mal höher als die von Ganciclovir.
Die Wirksamkeit von Fomivirsen war auch bei Virusisolaten gut, die gegen einen oder mehrere für die Behandlung der CMV-Retinitis zugelassene DNA-Polymerasehemmstoffe (Ganciclovir, Foscarnet oder Cidofovir) resistent waren.

Pharmakokinetik, Verabreichung


Fomivirsen wird als intravitreale Injektion verabreicht; weder Fomivirsen noch seine Oligonukleotid-Metaboliten sind im Plasma von behandelten Patienten nachgewiesen worden. Angesichts der Schwierigkeit, routinemäßig Proben von Augenflüssigkeiten (z. B. Glaskörperflüssigkeit) zu gewinnen, war die Untersuchung der okularen pharmakokinetischen Parameter an Patienten begrenzt. Die intravitreale Injektion bei Kaninchen und Affen führte sofort nach der Injektion zu maximalen Fomivirsen-Konzentrationen im Glaskörper, die proportional zur Dosis waren. Die Halbwertzeiten der Glaskörper-Clearance betrugen 63 Stunden bei Kaninchen und 22 Stunden bei Affen.
Nach Verabreichung klinisch relevanter Dosen an Kaninchen lagen die Netzhautkonzentrationen nach Gabe einer Einzeldosis 10 Tage lang bei über 1 µM. Bei Affen war die ermittelte Halbwertzeit von Fomivirsen in der Netzhaut dosisabhängig und lag zwischen 45 und 78 Stunden.
Vor der intravitrealen Injektion von Fomivirsen wird das Auge mit einem Lokalanästhetikum und einem antimikrobiellen Mittel behandelt. Der Injektionsvorgang ist mit Risiken verbunden und sollte deshalb nur von einem erfahrenen Ophthalmologen durchgeführt werden, da es zu Glaskörperblutungen, Ablösung der Netzhaut oder Katarakt-Bildung kommen kann.

Klinische Erfahrungen

In einer randomisierten Studie wurden verschiedene therapeutische Strategien verglichen. In einer Gruppe wurden Patienten mit einer neu diagnostizierten CMV-Retinitis sofort behandelt, in der Vergleichsgruppe wurde das Präparat nur bei Progression verabreicht. Dabei erwies sich die "Sofortbehandlung" als eindeutig überlegen.
Die Behandlung umfasst eine Initial- und eine Erhaltungsphase. In der Initialphase des Dosierungsschemas sollten bei neu diagnostizierter Erkrankung drei aufeinanderfolgende, wöchentliche Injektionen von 165 µg/Auge (0,025 ml) verabreicht werden. Anschließend sollte als Erhaltungsbehandlung alle zwei Wochen eine Injektion folgen.
Während der Behandlung sind häufige Kontrollen nötig. Nach der Injektion sollten Lichtwahrnehmung und Perfusion der Sehnervenpapille mittels Ophthalmoskopie kontrolliert werden. Eine regelmäßige Nachsorge zur Überwachung des Krankheitsverlaufs und des Ansprechens auf die Behandlung sollte entsprechend dem Zustand des Patienten in angemessenen Abständen erfolgen.

Verträglichkeit


Die häufigsten Nebenwirkungen nach Anwendung von Fomivirsen waren Augenentzündungen und erhöhter Augeninnendruck.
Fomivirsen ist bei Patienten mit einer Überempfindlichkeit gegenüber den Bestandteilen des Präparates kontraindiziert. Es ist auch in Situationen nicht indiziert, in denen intravitreale Injektionen vermieden werden sollten, z. B. im Fall einer Infektion des äußeren Auges.

ZUSAMMENFASSUNG


Fomivirsen (VITRAVENE) wird zur Behandlung der Zytomegalievirus-Retinitis (CMVR), einer opportunistischen Infektion bei Aids-Patienten, eingesetzt. Das Oligonukleotid ist das erste Antisense-Arzneimittel, das auf den Markt kommt: Es ist komplementär zu einer Region der Boten-RNA des humanen CMV, bindet an die mRNA, verhindert damit die Produktion von Virusproteinen und hemmt so die Virusreplikation. Fomivirsen wird lokal (intravitreal) angewendet.


1.
PERRY CM, BALFOUR JA. Fomivirsen. Drugs. 1999 Mar;57(3):375-80.

2. NICHOLS WG, BOECKH M. Recent advances in the therapy and prevention of CMV infections. J Clin Virol. 2000 Feb;16(1):25-40.

 

Ergänzungen (September 2002)


Die Firma Novartis Ophthalmics Europe Ltd hat das Präparat Fomivirsen (VITRAVENE) vom Markt der Europäischen Union genommen. Es war seit 1999 zur lokalen Therapie einer durch Cytomegalie Viren verursachten Retinitis zugelassen. Nach Angaben der EMEA (European Agency for the Evaluation of Medicinal Products) vom 6. August 2002 verzichtet das Unternehmen aus kommerziellen Gründen auf die weitere Vermarktung. Der Absatz des Präparates wird mit weniger als 100 Einheiten pro Jahr angegeben. Patienten, die das Arzneimittel dringend benötigen, können es aus der Schweiz importieren lassen.

 

 

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