Enfuvirtid

ein Fusionsinhibitor erweitert die Möglichkeiten der antiretroviralen Therapie

Unveränderter Text aus ZCT Heft 6, 2003
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Aktuelle Ergänzungen am Ende des Textes



Eine beeindruckende Zahl von Wirkstoffen steht zur antiretroviralen Therapie zur Verfügung. Neben den Hemmstoffen der reversen Transkriptase sind vor allem die Protease-Inhibitoren zu nennen, durch die vor einigen Jahren erhebliche Fortschritte in der Behandlung von HIV-infizierten Patienten erzielt wurden (siehe Übersichtstabellen). Da sich jedoch bei einer Monotherapie mit allen derzeit bekannten antiretroviral wirksamen Virustatika rasch eine Resistenzentwicklung des Erregers feststellen lässt, ist eine Kombinationstherapie mit mindestens drei Substanzen notwendig und stellt heute die Standardtherapie dar. Da HIV auch unter der Kombinationstherapie resistent werden kann und zudem nicht selten Verträglichkeitsprobleme die Auswahl der Medikamente erschweren, ist die Entwicklung neuer antiretroviraler Wirkstoffe sinnvoll und begrüßenswert. Mit Enfuvirtid (FUZEON), das während der Entwicklung als T-20 bezeichnet wurde, steht erstmals eine Substanz aus einer neuen Gruppe der „Fusionsinhibitoren“ zur Verfügung; weitere Fusionsinhibitoren befinden sich in der Entwicklung.1,2 Enfuvirtid ist ein synthetisches Peptid aus 36 Aminosäuren.

Strukturformel Enuvirtid

Wirkungsmechanismus, antivirale Aktivität

Enfuvirtid verhindert die Fusion von HIV-1 und der Wirtszelle und somit die Infektion der Zelle. Die ersten Schritte dieser Fusion bestehen in der Anlagerung des viralen Oberfächenproteins gp120 an den CD4-Rezeptor und einen Korezeptor (z. B. CCR5) auf der Wirtszelle. Diese Anlagerung bewirkt Konformationsänderungen des Proteins, wodurch das transmembranäre Protein gp41 freigelegt wird und in die Membran der menschlichen Zelle eindringen kann. Durch die dann folgenden Konformationsänderungen des gp41 werden die Membranen des Erregers und der Wirtszelle zusammengeführt und das Virus kann schließlich in die Lymphozyten und andere Zellen eindringen. Enfuvirtid verhindert die Konformationsänderung und Annäherung der Membranen durch Anlagerung an gp41 und verhindert dadurch die Infektion der Zellen. Der Fusionsprozess läuft je nach CD4- und Korezeptordichte auf der Wirtszelloberfläche in unterschiedlichen Geschwindigkeiten ab. Dies beeinflusst die Aktivität der Fusionsinhibitoren.1, 2

Enfuvirtid wirkt ausschließlich gegen HIV-1, es besteht keine Aktivität gegen HIV-2. In vitro konnte die antiretrovirale Aktivität bereits bei Konzentrationen von unter 1 µg/ml belegt werden. Bisher wurden keine Kreuzresistenzen zwischen der Substanz und anderen antiviralen Arzneistoffen festgestellt, solche Kreuzresistenzen zu Hemmstoffen der reversen Transkriptase oder Protease sind auch aufgrund des völlig anderen Wirkungsmechanismus unwahrscheinlich.3,4

 


Pharmakokinetische Eigenschaften

Enfuvirtid wird schnell durch Peptidasen im Magen-Darm-Trakt abgebaut und ist somit nicht oral bioverfügbar. Nach subkutaner Injektion wird die Substanz gut resorbiert und bei zweimal täglicher Gabe von 90 mg schwankten bei HIV-Patienten die Konzentrationen im Plasma zwischen Werten von etwa 3 und 5 µg/ml. Die Halbwertzeit beträgt im Mittel etwa 3,8 Stunden. Das Verteilungsvolumen wurde mit ca. 5 Litern berechnet. Mögliche Änderungen der Kinetik bei Patienten mit Leber- oder Niereninsuffizienzen wurden nicht gezielt untersucht; erste Erfahrungen deuten aber darauf hin, dass zumindest bei Patienten mit einer Kreatinin-Clearance von über 35 ml/min die Elimination von Enfuvirtid nicht beeinträchtigt wird.3,5
 


Therapeutische Anwendung

Enfuvirtid wird in Kombination mit anderen Virustatika zur Therapie von HIV-1-Infektionen angewandt, wenn die Standard-Kombinationstherapie versagt hat oder Verträglichkeitsprobleme aufgetreten sind. Grundlage dieser Indikation sind die Ergebnisse von klinischen Studien (TORO = T-20 versus optimized regimen only), in denen die Wirksamkeit von Enfuvirtid als zusätzliches Therapeutikum zu einer optimierten antiretroviralen Therapie überprüft wurde. Die optimierte Kombinationstherapie bestand aus drei bis fünf Virustatika; die Patienten waren im Median bereits mit 12 verschiedenen antiretroviralen Arzneistoffen über einen medianen Zeitraum von sieben Jahren behandelt worden. Als wesentliche Endpunkte wurden die Anzahl der CD4+-Zellen und die Kopien der HIV-RNA im Blut ausgewertet. Beide Endpunkte zeigten signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen. Die Zahl der CD4+-Zellen stieg zum Beispiel innerhalb von 24 Wochen um 35 / µl Blut unter der optimierten Therapie an, aber um 71 / µl Blut unter der zusätzlichen Gabe von Enfuvirtid; die entsprechenden Ausgangswerte bei Beginn der Studie waren 97 bzw. 88 Zellen / µl Blut (Medianwerte). Die Studien sind noch nicht abgeschlossen, sondern werden zur Zeit fortgesetzt, um Aussagen über Wirksamkeit und Verträglichkeit auch nach längerer Anwendung von Enfuvirtid machen zu können.6,7
 


Unerwünschte Wirkungen, Interaktionen

Enfuvirtid wird nach den bisher bekannten Daten gut vertragen. Die häufigsten unerwünschten Wirkungen sind lokale Reaktionen an der Einstichstelle, die überwiegend als „mild“ eingestuft wurden, jedoch bei 9,4% der Patienten eine Anwendung von Analgetika erforderlich machten oder die üblichen Aktivitäten einschränkten. Die Behandlung wurde von 3% der Patienten aufgrund von Reaktionen an der Injektionsstelle abgebrochen. Bisher liegen keine Daten zu Wechselwirkungen von Enfuvirtid mit anderen Arzneimitteln vor. Mit anderen antiretroviral wirksamen Substanzen traten bislang keine unerwünschten Wechselwirkungen auf.
 


ZUSAMMENFASSUNG

Mit Enfuvirtid (FUZEON) steht erstmals ein Fusionsinhibitor zur Therapie der HIV-1-Infektion zur Verfügung. Das synthetische Peptid muss zweimal täglich subkutan injiziert werden. In klinischen Studien führte es zu signifikanten Verbesserungen bei der Anzahl von CD4+-Zellen und den RNA-Kopien des Virus im Blut der vorbehandelten Patienten, wenn es zusätzlich zu einer optimierten antiretroviralen Kombinationstherapie gegeben wurde. Abgesehen von lokalen Reaktionen an der Einstichstelle, wurden bisher keine wesentlichen unerwünschten Wirkungen bekannt, die eindeutig auf das neue Medikament zurückzuführen wären. Enfuvirtid stellt einen Fortschritt in der Behandlung von HIV-Patienten dar, bei denen die zuvor gegebenen Therapeutika nicht die gewünschte Wirksamkeit zeigen oder wegen Unverträglichkeitsreaktionen abgesetzt werden müssen.

1. MOYLE G. Stopping HIV fusion with enfuvirtide: the first step to extracellular HAART.
    J Antimicrob Chemother. 2003 Feb;51(2):213-7.

2. KILBY JM, ERON JJ. Novel therapies based on mechanisms of HIV-1 cell entry.
    N Engl J Med. 2003 May 29;348(22):2228-38.

3. CERVIA JS, SMITH MA. Enfuvirtide (T-20): a novel human immunodeficiency virus type 1 fusion inhibitor.
    Clin Infect Dis. 2003 Oct 15;37(8):1102-6.

4. KILBY JM, LALEZARI JP et al. The safety, plasma pharmacokinetics, and antiviral activity of subcutaneous enfuvirtide (T-20),
    a peptide inhibitor of gp41-mediated virus fusion, in HIV-infected adults.
    AIDS Res Hum Retroviruses. 2002 Jul 1;18(10):685-93.

5. ZHANG X, NIEFORTH K et al. Pharmacokinetics of plasma enfuvirtide after subcutaneous administration to patients with
    human immunodeficiency virus: Inverse Gaussian density absorption and 2-compartment disposition.
    Clin Pharmacol Ther. 2002 Jul;72(1):10-9.

6. LALEZARI JP, HENRY K et al. Enfuvirtide, an HIV-1 fusion inhibitor, for drug-resistant HIV infection in North and South
    America. N Engl J Med. 2003 May 29;348(22):2175-85.

 

7. FACHINFO Fuzeon, Stand: Mai 2003, Roche, UK

Hinweis: Aktuelle Informationen in englischer Sprache über geeignete Arzneimittel, Behandlungsrichtlinien, aktuelle klinische Studien und andere Aspekte der antiretroviralen Therapie finden Sie unter www.aidsinfo.nih.gov

 

Aktuelle Ergänzungen (März 2006)

Seit der Erstellung und Veröffentlichung dieses Artikels in der Zeitschrift für Chemotherapie (Heft 6, 2003) sind zahlreiche weitere Arbeiten über Enfuvirtid publiziert worden. Insbesondere soll an dieser Stelle auf die folgenden Arbeiten hingewiesen werden:


1. RAFFI F, KATLAMA C et al. Week-12 response to therapy as a predictor of week 24, 48, and 96 outcome in  patients receiving
    the HIV fusion inhibitor enfuvirtide in the T-20 versus Optimized Regimen Only (TORO) trials.
    Clin Infect Dis. 2006 Mar 15;42(6):870-7.

2. THOMPSON M, DEJESUS E et al. Pharmacokinetics, pharmacodynamics and safety of once-daily versus twice-daily  dosing
    with enfuvirtide in HIV-infected subjects. AIDS. 2006 Feb 14;20(3):397-404

3. NELSON M, ARASETH K et al. Durable efficacy of enfuvirtide over 48 weeks in heavily treatment-experienced 
    HIV-1-infected patients in the T-20 versus optimized background regimen only 1 and 2 clinical trials.
    J Acquir Immune Defic Syndr. 2005 Dec 1;40(4):404-12

4. OLDFIELD V, KEATING GM et al. Enfuvirtide: a review of its use in the management of HIV infection.
     Drugs. 2005;65(8):1139-60.

5. COHAN D, FEAKINS C et al. Perinatal transmission of multidrug-resistant HIV-1 despite viral suppression on an
    enfuvirtide-based treatment regimen. AIDS. 2005 Jun 10;19(9):989-90

6. BAYLOR MS, JOHANN-LIANG R. Enfurvirtide safety in human immunodeficiency virus-infected children.
    Pediatr Infect Dis J. 2005 Apr;24(4):389-90 

7. SHAHAR E, MOAR C et al. Successful desensitization of enfuvirtide-induced skin hypersensitivity reaction.
    AIDS. 2005 Mar 4;19(4):451-2

8. PATEL IH, ZHANG X et al. Pharmacokinetics, pharmacodynamics and drug interaction potential of enfuvirtide.
    Clin Pharmacokinet. 2005;44(2):175-86

9. LEEN C, WAT C et al. Pharmacokinetics of enfuvirtide in a patient with impaired renal function.
    Clin Infect Dis. 2004 Dec 1;39(11):e119-21

10. GREENBERG ML, CAMMACK N. Resistance to enfuvirtide, the first HIV fusion inhibitor.
      J Antimicrob Chemother. 2004 Aug;54(2):333-40.

 

 

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