Doravirin – ein neuer Hemmstoff der reversen Transkriptase zur antiretroviralen Therapie

Unveränderter Text aus Heft 3, 2019

Die nicht-nukleosidischen Inhibitoren der reversen Transkriptase (NNRTI) sind seit Jahrzehnten ein wichtiger Bestandteil der antiretroviralen Kombinationstherapie. Sie binden nicht am aktiven Zentrum des Enzyms, sondern an eine benachbarte hydrophobe Tasche. Dies führt zu einer Konformationsänderung, die das Enzym im inaktiven Zustand fixiert. Unter den ersten Vertretern dieser Arzneimittelgruppe ist vor allem das Efavirenz in fixer Kombination mit Emtricitabin und Tenofovir-Disoproxil (ATRIPLA) sehr häufig eingesetzt worden.

 

Neuere Wirkstoffe zeigen Vorteile hinsichtlich der Verträglichkeit und antiviralen Aktivität gegen resistente Mutanten des HI-Virus. Auch Doravirin (PIFELTRO) zeigt entsprechende Verbesserungen; es wurde vor einigen Monaten als Monotherapeutikum und in Kombination mit Lamivudin und Tenofovir-Disoproxil unter dem Handelsnamen DELSTRIGO zugelassen (Tabelle 1). Damit wächst die Gruppe der fixen Kombinationspräparate zur einmal täglichen antiretroviralen Therapie auf insgesamt zehn.1 Eine Übersichtstabelle der Kombinationspräparate finden Sie hier.

 

Tabelle 1: Nicht-nukleosidische Inhibitoren der reversen Transkriptase (NNRTI)

 

Freiname

Handels-name

Jahr*

Dosierung

(mg pro Tag)

Nevirapin

Viramune

1996

2 x 200

 

Delavirdin

Rescriptor**

1997

1 x 400

 

Efavirenz

Sustiva

1998

1 x 600

 

Etravirin

Intelence

2008

2 x 200

 

Rilpivirin

Edurant

2011

1 x 25

 

Doravirin

Pifeltro

2018

1 x 100

 

 

* Jahr der Zulassung durch die FDA; ** nicht mehr im Handel

 

Antivirale Aktivität, Resistenz

 

Doravirin besitzt eine neuartige chemische Struktur, es handelt sich um ein Pyridonderivat.2 In vitro wird HIV-1 bereits in niedrigen nanomolaren Konzentrationen gehemmt. Die EC95 liegt bei 20 nmol/l in Gegenwart von 50% humanem Serum. Von Interesse ist vor allem die Wirkung auf Mutanten, die sich gegenüber anderen Stoffen dieser Gruppe resistent verhalten. Als Indikator für eine Aktivitätsabnahme kann ein 10-facher Anstieg der Hemmkonzentrationen herangezogen werden. Unter 96 klinischen Isolaten traf dies bei 17% für Doravirin zu. Die entsprechenden Angaben für Efavirenz, Etravirin und Rilpivirin waren 65%, 16% und 19%. In den klinischen Studien wurden von sieben der mehr als 700 Teilnehmer Mutanten isoliert, die eine mehr als 93-fache Abnahme der Empfindlichkeit zeigten.1

Strukturformel von Doravirin (= MK1439), MM 425,7.

Das Pyridonderivat unterscheidet sich chemisch von den anderen NNRTI.

 

Pharmakokinetik

 

Doravirin wird nach oraler Einnahme rasch resorbiert, die Bioverfügbarkeit wird durch Nahrung nicht relevant beeinflusst. Die Plasmaproteinbindung liegt bei 76%, das Verteilungsvolumen wurde nach intravenöser Injektion im steady state bei Probanden mit 60,5 Litern berechnet. Der Abbau des Arzneistoffs erfolgt überwiegend über Cytochrom-P450-abhängige Monooxygenasen (CYP3A), nur sehr wenig wird unverändert im Urin ausgeschieden. Die Eliminationshalbwertzeit beträgt 15 Stunden. Eine Dosisanpassung bei leichter bis mittelschwerer Leberinsuffizienz (Child-Pugh A oder B) bzw. bei Niereninsuffizienz ist nicht erforderlich. Das Präparat kann allerdings wegen der Kombinationspartner nicht bei Patienten mit einer renalen Clearance von < 50 ml/min angewandt werden.

 

Klinische Studien

 

In einer umfangreichen Doppelblindstudie wurde DELSTRIGO bei zuvor nicht behandelten Erwachsenen mit verschiedenen Dreierkombinationen verglichen. Sie bestanden aus dem Ritonavir-geboostertem Proteaseinhibitor Darunavir (PREZISTA) zusammen mit den beiden nukleosidischen Inhibitoren Emtricitabin und Tenofovir-Disoproxil (zusammen in TRUVADA) oder Abacavir (ZIAGEN) plus Lamivudin; die jeweilige Auswahl war dem Untersucher überlassen. Die neue Dreierkombination erwies sich als nicht unterlegen. Bei einer Zwischenauswertung nach 48 Wochen lag bei 84% der Teilnehmer die virale RNA unter 50 Kopien / ml Blut (Vergleichsgruppe: 80%).3 In einer weiteren, sehr ähnlich angelegten klinischen Studie fand ein Vergleich mit ATRIPLA, also der Kombination aus Efavirenz, Emtricitabin und Tenofovir-Disoproxil, statt. Die Ergebnisse nach 48 Wochen stimmten mit den vorherigen überein. Nach 96 Wochen wurden bei 77,5% der Patienten Viruskopien von weniger als 50 pro ml Blut gemessen (Vergleichsgruppe: 73,6%).1,4

 

Einige weitere klinische Studien sind noch nicht abgeschlossen. Erste Ergebnisse sind bereits verfügbar aus einer Studie, in der bei vorbehandelten Patienten ein Wechsel auf die neue Kombination untersucht wurde. Die Patienten wurden mit verschiedenen Dreierkombinationen behandelt, die Proteaseinhibitoren, Integraseinhibitoren und andere Wirkstoffe enthielten. Bei einer ersten Auswertung 48 Wochen nach dem Wechsel lag bei 90,8% der Teilnehmer die Viruslast bei unter 50 Kopien pro ml Blut im Vergleich zu 94,6% der Patienten, die bei dem alten Regime für 24 Wochen geblieben waren. In beiden Gruppen gab es weniger als zwei Prozent Teilnehmer mit Virus-RNA Konzentrationen von 50 Kopien oder mehr pro ml Blut.1

 

Verträglichkeit, Interaktionen

 

In den klinischen Studien erwies sich die Doravirin-basierte Dreierkombination als gut verträglich.1,3,4 Zu den häufigsten unerwünschten Reaktionen zählten Übelkeit und Kopfschmerzen, es bestand jedoch kaum ein Unterschied zu der Vergleichsgruppe. Diarrhöen traten dagegen deutlich seltener in der Doravirin-Gruppe auf als bei den Darunavir-behandelten Patienten (5 vs 13%). Auch hinsichtlich des Lipidstoffwechsels war Doravirin günstiger zu beurteilen. Cholesterol und Triglyceride wurden weniger beeinflusst. Erwartungsgemäß wurden in der zweiten Phase-3-Studie deutlich weniger zentralnervöse Nebenwirkungen nach Doravirin als nach Efavirenz registriert. Am häufigsten waren Schwindel (7 vs. 32%) und Schlafstörungen (12 vs. 25%). Die Nebenwirkungs-bedingte Abbruchrate unterschied sich ebenfalls in beiden Gruppen signifikant (2 vs. 6%).

 

Da Doravirin über Cytochrom-Enzyme abgebaut wird, sollen Arzneimittel, die eine Induktion oder Inhibition von Cytochromen verursachen, nicht gleichzeitig gegeben werden.5 Falls es zusammen mit Rifabutin (MYCOBUTIN) eingenommen wird, muss die Doravirin-Dosierung angepasst werden. Mit Rifampicin (EREMFAT u.a.) wurde eine detaillierte pharmakokinetische Studie zur Interaktion mit Doravirin durchgeführt.6 Die Spitzenkonzentration des Virustatikums wurde bei gleichzeitiger Gabe einer Dosis Rifampicin von 1,54 auf 2,16 µM erhöht, bei längerer Verabreichung jedoch auf 0,66 µM reduziert. Den initialen Effekt kann man durch eine inhibierende Wirkung des Rifampicins auf die Transportproteine P-gp und OATP erklären. Angesichts der Enzyminduktion bei längerer Verabreichung und der dadurch deutlich erniedrigten Spiegel ist die Wirksamkeit von Doravirin bei gleichzeitiger Therapie mit Rifampicin in Frage gestellt. Die AUC-Werte waren von 36,5 auf 4,5 µM x h deutlich erniedrigt.

 

ZUSAMMENFASSUNG:

 

Doravirin ist ein neuer Hemmstoff der reversen Transkriptase ohne Nukleosidstruktur. Die Substanz ist unter den Handelsnamen PIFELTRO als Monopräparat oder als DELSTRIGO in fixer Kombination mit Lamivudin und Tenofovir-Disoproxil zur antiretroviralen Therapie mit einmal täglicher Einnahme verfügbar. Die antivirale Aktivität ist gut, es werden auch einige Mutanten erfasst, die gegen ältere Wirkstoffe dieser Gruppe Resistenz zeigen. Die pharmakokinetischen Eigenschaften gestatten eine einmal tägliche Einnahme in einer Dosierung von 100 mg. In umfangreichen klinischen Studien erwies sich die neue Dreifachkombination als gut wirksam und verträglich. Da Doravirin über Cytochrom-abhängige Monooxygenasen abgebaut wird, müssen bei gleichzeitiger Gabe von Inhibitoren oder Induktoren dieser Enzyme Interaktionen beachtet werden.

 

Literatur

 

1. Deeks ED. Doravirine: First Global Approval. Drugs. 2018 Oct;78(15):1643-1650 PubMed

 

2. Namasivayam V et al. The journey of HIV-1 non-nucleoside reverse transcriptase inhibitors (NNRTIs) from lab to clinic. J Med Chem. 2018 Dec 5. [Epub ahead of print] PubMed

 

3. Molina JM et al. Doravirine versus ritonavir-boosted darunavir in antiretroviral-naive adults with HIV-1 (DRIVE-FORWARD): 48-week results of a randomised, double-blind, phase 3, non-inferiority trial. Lancet HIV. 2018 May;5(5):e211-e220 PubMed

 

4. Orkin C et al. Doravirine/Lamivudine/Tenofovir Disoproxil Fumarate is Non-inferior to Efavirenz/Emtricitabine/Tenofovir Disoproxil Fumarate in Treatment-naive Adults With Human Immunodeficiency Virus-1 Infection: Week 48 Results of the DRIVE-AHEAD Trial. Clin Infect Dis 2019;68(4):535-544 FREE FULL TEXT.

 

5. Wilby KJ, Eissa NA. Clinical Pharmacokinetics and Drug Interactions of Doravirine. Eur J Drug Metab Pharmacokinet. 2018 Dec;43(6):637-644 PubMed

 

6. Yee KL et al. The Effect of Single and Multiple Doses of Rifampin on the Pharmacokinetics of Doravirine in Healthy Subjects. Clin Drug Investig. 2017;37:659-667 PubMed

 

 

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