Ceftibuten - ein neues ß-Lactam-Antibiotikum zur oralen Behandlung

Unveränderter Text aus ZCT Heft 2, 1994

Aktuelle Ergänzungen am Ende des Textes

 

Die Möglichkeit zur halbsynthetischen Herstellung von Cephalosporinen ist seit Jahrzehnten bekannt. Tausende von verschiedenen Derivaten sind seitdem synthetisiert worden. Manchen ist es gelungen, die Hürden der ersten in vitro Untersuchungen zu überwinden, und zahlreiche Cephalosporine sind zur Behandlung von bakteriellen Infektionen im Handel. Anfang der 80er Jahre wurden etliche Präparate zur parenteralen Applikation eingeführt. Der Anfang der 90er steht nun unter dem Zeichen einer Einführungswelle von Derivaten zur oralen Anwendung. Eine Übersicht über diese Arzneimittelgruppe hatten wir bereits in einer früheren Ausgabe der Zeitung (ZCT 13:25-26, 1992) gegeben. Ceftibuten (KEIMAX) ist das neueste Oralcephalosporin, das in Deutschland auf den Markt gekommen ist. Weitere werden bald folgen.

Strukturformel Ceftibuten

Antibakterielle Eigenschaften

Angesichts der Vielzahl von Derivaten, die entwickelt wurden, überrascht es nicht, daß die Struktur-Wirkungsbeziehungen in dieser Arzneimittelklasse gut bekannt sind. So weist auch das neue Cephalosporin bekannte Strukturkomponenten auf, die es als oral anwendbar (keine Substitution an C3) und als ß-laktamasefest mit Wirkungsschwerpunkt im gramnegativen Bereich ausweisen (Aminothiazolgruppe und Carboxylgruppe in der Seitenkette an C7). Während es gegenüber plasmidkodierten ß-Laktamasen stabil ist, wird es durch chromosomal kodierte ß-Laktamasen inaktiviert (z. B. in Enterobacter oder Bacteroides-Spezies). Staphylokokken, Enterokokken und Pseudo-monaden sind wichtige Lücken im Spektrum der Substanz. Gut wirksam ist es dagegen bei E. coli, Klebsiellen, Proteus-Arten, Haemophilus influenzae, Streptococcus pyogenes und Streptokokken. Insgesamt läßt sich also für dieses Arzneimittel eine Aktivitäts-steigerung im gramnegativen und eine reduzierte Aktivität im grampositiven Bereich feststellen. Es weist in dieser Hinsicht Ähnlichkeit mit Cefixim (CEPHORAL) auf.

Pharmakokinetische Eigenschaften

Die Resorptionsrate nach oraler Gabe von Ceftibuten (Kapseln oder Suspension) wird mit etwa 80% angegeben. Die Bioverfügbarkeit ist bei Einnahme mit einer Mahlzeit reduziert; das Präparat sollte nüchtern eingenommen werden. Die Spitzenkonzentration nach Einnahme von 400 mg liegt im Mittel bei 15,6 mg/l und die AUC ("Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve") wurde mit etwa 80 mg x h/l berechnet. Die Proteinbindung beträgt 62%. Etwa 10% einer Dosis von Ceftibuten - das als cis-Isomer vorliegt - wird im Organismus in das trans-Isomer umgewandelt und renal eliminiert. Dieser Metabolit besitzt eine deutlich schwächere antibakterielle Wirkung.

Therapeutische Wirksamkeit

Die übliche therapeutische Dosierung von Ceftibuten beträgt im ambulanten Bereich 1-mal täglich 400 mg (9 mg/kg pro Tag für Kinder). Bei schweren Infektionen und im Krankenhaus sollten bei nicht renalen Infektionen 2-mal 400 mg täglich gegeben werden. Bei eingeschränkter Nierenfunktion (Kreatinin-Clearance unter 50 ml/min) soll die Tagesdosis auf höchstens 200 mg reduziert werden.

Ceftibuten kommt zur Behandlung von Infektionen der Harnwege und der Atemwege in Frage. Bei Harnwegsinfektionen, Otitis media, purulenter Bronchitis und Pneumonie ist es etwa ebenso wirksam wie andere, häufig eingesetzte Antibiotika [z. B. Cotrimoxazol (BACTRIM u. a.), Cefaclor (PANORAL), Penicillin V (ISOCILLIN u. a.), Amoxicillin (AMOXYPEN u.a.)]. Bei mehreren hundert Kindern mit Tonsillopharyngitis wurde das neue Antibiotikum bei 1-mal täglicher Gabe von 9 mg/kg KG mit Penicillin V (3 x täglich 8 mg/kg) verglichen. Ceftibuten war bei 97% der Patienten erfolgreich, Penicllin V zeigte den gewünschten Heileffekt bei 89% der Patienten. Die Ergebnisse der mikrobiologischen Diagnostik unterstützen den beobachteten, statistisch signifikanten Unterschied. Allerdings wäre es sicherlich verfrüht, aufgrund dieses Ergebnisses die Penicillin-Behandlung der Tonsillopharyngitis als überholt anzusehen.

Unerwünschte Wirkungen

Gastrointestinale Beschwerden sind die häufigsten unerwünschten Wirkungen, die während der klinischen Erprobung von Ceftibuten registriert wurden. Erbrechen und Durchfall wurden bei 3% der Patienten beobachtet. Die Häufigkeiten weiterer Unverträglichkeitsreaktionen lagen unterhalb von 1% (Kopfschmerzen, Hautreaktionen, Appetitlosigkeit etc.). Ein abschließendes Urteil zur Verträglichkeit des Ceftibuten kann - wie bei jedem Arzneimittel zum Zeitpunkt der Einführung - derzeit noch nicht erfolgen. Die bisherigen Daten deuten auf eine ähnlich gute Verträglichkeit hin, wie sie von anderen ß-Laktamantibiotika bekannt ist.

ZUSAMMENFASSUNG

Ceftibuten (KEIMAX) ist ein neues ß-Laktamantibiotikum, das ein ähnliches Wirkungsspektrum aufweist, wie andere neue Oralcephalosporine. Bei besserer Aktivität im gramnegativen Bereich ist die Wirkung gegen grampositive Bakterien geringer. Staphylokokken stellen eine wichtige Lücke im Spektrum der Substanz dar. Bei bakteriellen Infektionen der Atemwege und bei Infektionen des Urogenitaltraktes erwies sich Ceftibuten bei 1-mal täglicher Gabe als ebenso wirksam, wie die routinemäßig angewandten Präparate. Bei Tonsillopharyngitis zeigte sich eine leichte Überlegenheit im Vergleich zu Penicillin V (ISOCILLIN u.a.). Nach den bisherigen Erfahrungen ist die Verträglichkeit des neuen Arzneimittels als gut anzusehen.
 

1. JONES, R. N. Pediatr. Infect. Dis. J. 12:S37-S44, 1993

2. NEU, H. C. Pediatr. Infect. Dis. J. 12:S49-S54, 1993 

3. FASSBENDER M, LODE H et al. Pharmacokinetics of new oral cephalosporins, including a new carbacephem. Clin Infect Dis. 1993 May;16(5):646-53.

4. WISE R, NYE K et al. Pharmacokinetics and tissue penetration of ceftibuten. Antimicrob Agents Chemother. 1990 Jun;34(6):1053-5.

5. Pichichero, M. E. Pediatr. Infect. Dis. J. 12:S64-S70, 1993

6.
Kammer, R. B. Pediatr. Infect. Dis. J. 12:S92-S94, 1993

Ergänzung (September 2007)

 

Seit der Erstellung und Veröffentlichung dieses Artikels in der Zeitschrift für Chemotherapie (Heft 2, 1994) sind zahlreiche weitere Arbeiten über Ceftibuten publiziert worden. Insbesondere soll an dieser Stelle auf die folgenden Arbeiten hingewiesen werden:

 

1. JONES RN. Ceftibuten: a review of antimicrobial activity, spectrum and other microbiologic  features. Pediatr Infect Dis J. 1995 Jul;14(7 Suppl):S77-83.

2. NEU HC. Ceftibuten: minimal inhibitory concentrations, postantibiotic effect and beta-lactamase stability - a rationale for dosing programs. Pediatr Infect Dis J. 1995 Jul;14(7 Suppl):S88-92.

3. OWENS RC Jr, NIGHTINGALE CH et al. Ceftibuten: an overview. Pharmacotherapy 1997;17(4): 707-20.

4. WISEMAN LR, BALFOUR JA. Ceftibuten. A review of its antibacterial activity, pharmacokinetic properties and clinical efficacy. Drugs. 1994 May;47(5):784-808.

5. BARR WH, AFFRIME M et al. Pharmacokinetics of ceftibuten in children. Pediatr Infect Dis J. 1995 Jul;14(7 Suppl):S93-101.

6. REIDENBERG BE. Worldwide safety experience with ceftibuten pediatric suspension. Pediatr Infect Dis J. 1995 Jul;14(7 Suppl):S130-3.

 

 

 

Ergänzung 2016

 

Ceftibuten (KEIMAX) ist in Deutschland nicht mehr im Handel.

 

 

 

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