Unveränderter Text aus ZCT Heft 6, 1982
Ergänzungen am Ende des Textes
Die rasche Entwicklung der ß-Laktam-Antibiotika führte in den letzten Jahren zu einer Reihe von neuen Derivaten mit z.T. erheblich verbesserter Aktivität im gramnegativen Bereich. Diese ursprüngliche "Schwachstelle" im Wirkungsspektrum des Penicillin G (div. Warenzeichen) stellte jahrzehntelang eine Herausforderung für die pharmazeutische Industrie dar. Ein besonderes Ziel der Bemühungen war dabei, eine klinisch verwertbare Aktivität gegen Pseudomonas aeruginosa zu erzielen. Dieses ubiquitär verbreitete gramnegative Stäbchenbakterium stellt für den gesunden Menschen kaum eine besondere Bedrohung dar, bei Patienten mit geschwächten Abwehrfunktionen kann es jedoch zu schweren Infektionen führen. Bei hospitalisierten Patienten wurde in den vergangenen Jahrzehnten eine Zunahme der Pseudomonas-Infektionen beobachtet. Ein wichtiger Grund für diese Zunahme war sicherlich die ausgeprägte Chemotherapieresistenz des Erregers; er kann unter Bedingungen existieren, unter welchen die meisten anderen Keime abgetötet werden.
Mikrobiologie
Bekanntlich sind Pseudomonas-Infektionen nicht einfach zu behandeln: die häufig eingesetzten Aminoglykosid-Antibiotika wie Tobramycin (GERNEBCIN) oder Amikacin (BIKLIN) müssen stets unter Berücksichtigung ihrer potentiellen Nephro- und Ototoxizität verwendet werden. Die neuen, besser verträglichen Penicilline und Cephalosporine mit Pseudomonas-Wirksamkeit stellen aus toxikologischer Sicht eine günstige Alternative dar. Acylamino-Derivate des Ampicillin (BINOTAL, AMPI-TABLINEN u.a.) wie Azlocillin (SECUROPEN) und Piperacillin (PIPRIL) (vgl. ZCT 1/1980, 36) werden heute - oft in Kombination mit Aminoglykosiden - als Mittel der Wahl bei Pseudomonas-Infektionen eingesetzt.
Auch das neu eingeführte Apalcillin (LUMOTA) gehört in diese chemische Gruppe. Es besitzt ein ähnliches antibakterielles Spektrum wie Piperacillin, d.h. es ist vor allem hoch wirksam gegenüber den meisten Enterobakterien.3 Die minimalen Hemmkonzentrationen (MIC90 gegen Pseudomonas aeruginosa) liegen nach den bisherigen Veröffentlichungen zwischen 2 mg/l und 25 mg/l. Im direkten Vergleich konnte eine gleichwertige Pseudomonas-Wirksamkeit zwischen diesem Penicillin und den z.Zt. aktivsten Cephalosporinen - Cefsulodin (PSEUDOCEF u.a.) und Cefoperazon (CEFOBIS) - festgestellt werden.1 Beide untersuchten Penicilline wurden durch ß-Laktamasen zerstört und zeigten einen ausgeprägten Inokulum Effekt. Apalcillin ist zwar gegenüber einer Art der Pseudomonas-ß-Laktamase stabil5,6 erwies sich aber - ähnlich wie Piperacillin - als labil gegenüber TEM-1 und OXA-2 ß-Laktamasen dieses gramnegativen Erregers.1 Die Aktivitätssteigerung läßt sich durch eine hohe Affinität des Apalcillin zu den Penicillin-bindenden Proteinen erklären (vgl. ZCT 2/1981, 42-43).
Mikrobiologische Detailergebnisse können keine letztlich entscheidenden Kriterien bei der Auswahl eines Chemotherapeutikums
sein. Dies gilt gleichermaßen für die pro und contra Argumente. Hilfreich sind sie höchstens bei dem Versuch, eine gewisse Systematik in die große Anzahl von ähnlich wirksamen ß-Laktam-Antibiotika zu
bringen, die zur Zeit angeboten werden.
Pharmakokinetik
Apalcillin wird nach i.v.-Gabe mit einer Halbwertzeit von etwa 75 Min. aus dem Blut eliminiert. Damit besitzt es gegenüber vergleichbaren Penicillinen eine signifikant verlängerte Verweildauer im Serum. Apalcillin war noch 10 Std. nach einer Kurzinfusion von 2,0 g im Blut der Probanden nachweisbar, während die Piperacillin-Konzentrationen schon 2 Std. vorher unter der Nachweisgrenze des Bioassays lagen (HWZ: 55 Min.).7
Die Plasmaproteinbindung beträgt etwa 90% (Piperacillin: 20-40%). Im Urin werden im Mittel 20% der verabreichten Dosis unverändert ausgeschieden. Mit chemischen Methoden läßt sich ein etwa gleich großer Anteil in metabolisierter Form nachweisen. Diese Abbauprodukte werden verzögert ausgeschieden, was bei Niereninsuffizienz von klinischer Bedeutung sein könnte.
Klinik
In Japan wurden umfangreiche klinische Prüfungen in den diversen Fachgebieten durchgeführt, in denen häufig Infektionen mit Pseudomonas aeruginosa und anderen gramnegativen Erregern zu behandeln sind. Die bisher in Deutschland durchgeführten klinischen Untersuchungen zeigten die erwartete vergleichbare Wirksamkeit mit Azlocillin, Mezlocillin (BAYPEN) oder Piperacillin.4 Nach den vorliegenden Daten scheint die Applikation von 2-mal 3 g/die bei Gallenwegsinfektionen und bei komplizierten Harnwegsinfektionen ausreichend zu sein. Bei "üblichen" Infektionen der Harnwege und auch des Nierenparenchyms wird das neue Penicillin ohnehin keine Anwendung finden. Bei anderen Indikationen sollten 3-mal 3 g/die gegeben werden.
Auch Apalcillin besitzt die für ß-Laktam-Antibiotika charakteristische gute Verträglichkeit. Doch muß aufgrund der relativ hohen biliären Ausscheidung (über 30%) mit einer besonderen Darmbelastung gerechnet werden. Es wurde von einer Diarrhö-Frequenz bis zu 10% berichtet. Allergische Hautreaktionen und unspezifische Temperaturerhöhungen ("drug-fever") traten seltener auf (3-4% der Fälle). Eine passagere und vollreversible Transaminasenerhöhung wurde bei 3-4% der Patienten gesehen. Die Leberfunktionswerte sollten während der Therapie überwacht werden.
ZUSAMMENFASSUNG:
Apalcillin (LUMOTA) ist gegen ein breites Spektrum bakterieller Erreger wirksam. Sein Aktivitätsmaximum liegt im gramnegativen Bereich mit einer klinisch relevanten Pseudomonas-Aktivität. Es wird mit einer Eliminationshalbwertzeit von über einer Stunde via Galle und Niere ausgeschieden. Im Urin wurden etwa gleiche Anteile (20%) unveränderter und metabolisierter Substanz identifiziert. Die bisher vorliegenden klinischen Studien lassen keine klaren Vorteile des neuen Präparates gegenüber den anderen neueren Penicillinen erkennen. Die nächsten Jahre werden zeigen, welches der konkurrierenden ß-Laktam-Antibiotika sich im klinischen Alltag am besten bei der Behandlung von Pseudomonas- und anderen gramnegativen Infektionen durchsetzen kann. Nicht zuletzt wird dabei auch die Preiswürdigkeit der Präparate eine Rolle spielen. Da etwa ein halbes Dutzend weiterer ß-Laktam-Verbindungen zur Zeit klinisch geprüft wird, läßt sich für die nähere Zukunft eine weitere Verwirrung auf dem umsatzträchtigen Markt für ß-Laktam-Antibiotika mit Sicherheit voraussagen.
Ergänzungen (Oktober 2000)
Seit der Erstellung und Veröffentlichung dieses Artikels in der Zeitschrift für Chemotherapie (Heft 6, 1982) sind einige weitere Arbeiten über Apalcillin im Vergleich zu anderen Penicillinen publiziert worden. Insbesondere soll an dieser Stelle auf die folgende Publikation hingewiesen werden:
Ergänzung
Apalcillin hat sich zur Behandlung schwerer Infektionen durch gramnegative Erreger nicht durchsetzen können und ist heute nicht mehr im Handel.
Piperacillin, bzw. die Kombination aus Piperacillin und Tazobactam stellen die bevorzugten Penicilline bei entsprechenden Indikationen dar.