Aktuelle Ergänzungen am Ende des Textes
Neben den üblichen intensivmedizinischen Maßnahmen stellt eine möglichst gezielte antibiotische Behandlung die Basis der Sepsistherapie dar. Zahlreiche
Antibiotika mit hoher antibakterieller Aktivität stehen zur Verfügung – trotzdem ist es seit Jahrzehnten kaum gelungen, die Letalität der Sepsis wesentlich zu senken. Pathophysiologisch handelt es
sich bei der Sepsis und dem septischen Schock um eine proinflammatorische und prokoagulatorische Antwort des Wirtsorganismus auf invasive Erreger. Dabei spielt vor allem die exzessive Aktivierung der
Blutgerinnung in der Mikrozirkulation eine Rolle. Es liegt daher nahe, in den komplexen pathophysiologischen Ablauf des Sepsissyndroms neben der Antibiotikatherapie auch mit anderen Medikamenten
einzugreifen. Leider sind zahlreiche entsprechende Versuche in den vergangenen zwei Jahrzehnten fehlgeschlagen - dies gilt zum Beispiel für die Gabe von Antikörpern gegen Endotoxin, TNF-alpha oder
Interleukine.
Andere therapeutische Ansätze haben jedoch in jüngster Zeit Fortschritte bei der Behandlung der Sepsis gebracht. Hierzu zählen: (1) die intensive Behandlung der gestörten Hämodynamik, (2) die
Behandlung einer relativen Nebenniereninsuffizienz mit niedrigdosierten Glukokortikoiden, (3) die konsequente Normalisierung des Blutzuckerspiegels durch Insulin und (4) die intravenöse Gabe von
aktiviertem Protein C. Rekombinantes aktiviertes Protein C ist seit kurzem in Europa unter dem Namen Drotrecogen (XIGRIS) im Handel.
Drotrecogen ist ein Glykoprotein mit einem Molekulargewicht von 46.000 Dalton (ohne Kohlenhydratanteil). Die inaktive Vorstufe des Proteins wird biotechnologisch in einer humanen Nierenzelllinie
hergestellt, chromatographisch gereinigt und durch Thrombin aktiviert; von dem physiologischen Protein unterscheidet es sich nur geringfügig im Kohlenhydratanteil des Moleküls. Das Protein weist
Serinprotease-Aktivität auf und ist ein wichtiger Regulator der Blutgerinnung. Es begrenzt die Thrombinbildung durch Inaktivierung der Faktoren Va und VIIIa, was zu einer negativen Rückkopplung auf
die Blutgerinnung führt. Außerdem ist das Protein ein wichtiger Modulator der systemischen Infektantwort und besitzt antithrombotische und profibrinolytische Eigenschaften.
Innerhalb von zwei Stunden werden mit Drotrecogen bei kontinuierlicher Infusion steady-state-Spiegel erreicht. Nach Beendigung der Infusion wird die Substanz initial mit einer Halbwertzeit von 13 Minuten rasch eliminiert, anschließend folgt eine langsamere zweite Phase, für die eine Halbwertzeit von 1,6 Stunden berechnet wurde. Drotrecogen wird durch endogene Proteaseinhibitoren inaktiviert, der Mechanismus der Plasmaclearance ist jedoch unbekannt. Bei Patienten mit schwerer Sepsis war durch Niereninsuffizienz und Leberdysfunktion die Plasmaclearance signifikant verringert, aber das Ausmaß der Clearancereduktion liegt bei weniger als 30% und erfordert keine Dosisanpassung.1
Im März 2001 wurde erstmals über eine Senkung der Letalität durch Drotrecogen bei
Patienten mit schwerer Sepsis oder septischem Schock berichtet2, im September 2002 erschienen in einer Ausgabe des New England Journal of Medicine fünf weitere fundierte wissenschaftliche Beiträge,
die sich aus unterschiedlicher Perspektive mit dem rationalen Einsatz dieses neuen Arzneimittels beschäftigten.3,4,5,6,7
Die empfohlene Dosierung von Drotrecogen beträgt 24 mg / kg pro Stunde über einen Zeitraum von 96 Stunden. Die Sterblichkeit lag in der primären, umfangreichen Doppelblindstudie an mehr als 1600
Patienten („PROWESS“) bei 30,8% in der Placebo-behandelten Kontrollgruppe und bei 24,7% in der Gruppe mit der Protein C-Therapie; der Unterschied war statistisch signifikant (p = 0,005). Die
Ausschlusskriterien umfassten Patienten mit einem hohen Blutungsrisiko, Patienten mit schlechter, nicht Sepsis-bedingter Prognose, Patienten mit chronischer Dialysepflicht und andere Patientengruppen
mit schweren Grunderkrankungen. Die Reduktion der Sterblichkeit beschränkte sich auf die Subgruppe von Patienten mit einem höheren Schweregrad der Erkrankung, d. h. mit einem APACHE II Ausgangswert
von > 25 oder mindestens zwei Organdysfunktionen. In der Subgruppe der Patienten mit niedrigerem Schweregrad der Erkrankung wurde keine niedrigere Sterblichkeit beobachtet. Andererseits war jedoch
die erzielte Reduktion der Sterblichkeit unabhängig von Alter, Geschlecht und Infektionstyp. Die Zulassung des Arzneimittels wurde daher auf Patienten mit schwerer Sepsis und multiplem Organversagen
als zusätzliche Maßnahme zur Standardtherapie beschränkt.
Die Kosten der Behandlung sind ungewöhnlich hoch. Berechnungen zeigten, dass unter Berücksichtigung der Kosten von etwa 6.800 US$ pro therapeutischem Einsatz von XIGRIS und der bisher vorhandenen
Wirksamkeitsdaten etwa 20.000 bis 30.000 US$ pro gewonnenem Lebensjahr zu veranschlagen sind.3
Da Drotrecogen das Blutungsrisiko erhöhen kann, ist das Medikament kontraindiziert bei aktiver innerer Blutung, gleichzeitiger Heparintherapie, einer Thrombozytopenie, bekannter Blutungsneigung sowie generell bei Patienten mit erhöhtem Blutungsrisiko. Eine detaillierte Analyse der intrakraniellen Blutungen bei 13 von insgesamt 2.786 Patienten zeigte, dass neun dieser Blutungen bei Patienten mit Werten von < 30.000 Thrombozyten / µl auftraten, die überwiegend an Meningitis erkrankt waren.4
Aktiviertes Protein C (XIGRIS) stellt einen therapeutischen Fortschritt in der
Behandlung der schweren Sepsis und des septischen Schocks dar. Bedingt durch seine antithrombotischen, profibrinolytischen und antiinflammatorischen Wirkungen sind erstmals positive
Therapieergebnisse bei dieser schweren Infektion mit hoher Letalität nachgewiesen worden. Das hohe Preisniveau und das Blutungsrisiko erfordern allerdings einen möglichst gezielten Einsatz. Nur
Patienten mit einer schweren Sepsis (mindestens zwei Organdysfunktionen) oder einem septischen Schock sollten mit dem Arzneimittel behandelt werden. Es ist kontraindiziert, wenn eine volle
Antikoagulation nicht möglich wäre.
1. Fachinformation XIGRIS, Lilly Deutschland, Bad Homburg, Juni 2002
2. BERNARD
GR, VINCENT JL et al. Efficacy
and safety of recombinant human activated protein C for
severe
sepsis. N
Engl J Med. 2001 Mar 8;344(10):699-709.
3. MANNS
BJ, LEE H et al. An
economic evaluation of activated protein C treatment for severe sepsis.
N
Engl J Med. 2002 Sep 26;347(13):993-1000.
4. ELY
EW, BERNARD GR et al. Activated
protein C for severe sepsis.
N
Engl J Med. 2002 Sep 26;347(13):1035-6.
5. SIEGEL
JP. Assessing
the use of activated protein C in the treatment of severe sepsis.
N
Engl J Med. 2002 Sep 26;347(13):1030-4.
6. WARREN
HS, SUFFEDINI AF et al. Risks
and benefits of activated protein C treatment for severe sepsis.
N
Engl J Med. 2002 Sep 26;347(13):1027-30.
7. WENZEL
RP. Treating
sepsis.
N
Engl J Med. 2002 Sep 26;347(13):966-7.
Aktuelle Ergänzungen (August 2008)
Seit der Erstellung und Veröffentlichung dieses Artikels in der Zeitschrift für
Chemotherapie (Heft 1, 2003) sind zahlreiche weitere Arbeiten über aktiviertes Protein C publiziert worden. Insbesondere soll an dieser Stelle auf folgende Arbeiten hingewiesen werden:
1. ANGUS
DC, LATERRE PF et al. The
effect of drotrecogin alfa (activated) on long-term survival after
severe
sepsis.
Crit Care Med. 2004 Nov;32(11):2199-206.
2. ABRAHAM
E, LATERRE PF et al. Drotrecogin
alfa (activated) for adults with severe sepsis and a low
risk
of death.
N Engl J Med. 2005 Sep 29;353(13):1332-41.
3. PAYEN
D, SABLOTZKI A et al. International
integrated database for the evaluation of severe sepsis and
drotrecogin
alfa (activated) therapy: analysis of efficacy and safety data in a large surgical cohort.
Surgery.
2007 Apr;141(4):548-61.
4. NADEL
S, GOLDSTEIN B et al. Drotrecogin
alfa (activated) in children with severe sepsis: a multicentre
phase
III randomised controlled trial. Lancet. 2007 Mar 10;369(9564):836-43.
5. LEVI M, LEVY M et al. Prophylactic heparin in patients with severe sepsis treated with
drotrecogin alfa
(activated). Am J Respir Crit Care
Med. 2007 Sep 1;176(5):483-90.
Aktuelle Ergänzungen (November 2011)
XIGRIS (aktiviertes Protein C) vom Markt genommen.
Am 25.10.2011 informierte die Nordamerikanische Food and Drug-Administration (FDA), dass die Fa. Eli Lilly auf der Basis einer kürzlich beendeten klinischen prospektiven randomisierten Studie ihr Präparat Drotrecogin alfa (XIGRIS, aktiviertes Protein C) ab sofort vom Markt nimmt. In der Studie (PROWESS-SHOCK Trial) konnte mit der XIGRIS-Behandlung kein Überlebensvorteil demonstriert werden. In dieser Studie wurden insgesamt 1.696 Patienten mit schwerer Sepsis und septischem Schock eingeschlossen, von denen 851 Patienten XIGRIS erhielten und 845 Patienten dem Placebo-Arm zugeordnet waren. Die vorläufige Analyse, die von der Firma Eli Lilly der FDA eingereicht wurde, zeigte eine 28-Tage Gesamtletalität von 26,4 % im XIGRIS-Arm im Vergleich zu 24,2 % in der Placebo-Gruppe. Auch die Analyse einer Subgruppe von Patienten mit einem ausgeprägten Protein C-Defizit ergab keine Verminderung der Letalität unter einer XIGRIS-Therapie.
FDA Drug Safety Communication: 25.10.2011