Ciprofloxacin - ein neues Chemotherapeutikum zur Behandlung systemischer Infektionen

Unveränderter Text aus ZCT Heft 6, 1986
Ergänzungen am Ende des Textes


Ciprofloxacin (CIPROBAY) ist ein neues Chemotherapeutikum aus der Gruppe der 4-Chinolone. Die internationale Kurzbezeichnung deutet auf die charakteristischen Strukturmerkmale der Substanz hin (Cyclopropyl - substituiertes und fluoriertes Oxo-chinolonderivat) - der Handelsname läßt mit etwas Phantasie darüber hinaus auch die Herstellerfirma erkennen. Mit dieser Neueinführung stehen dem Arzt in der Bundesrepublik Deutschland neben Norfloxacin (BARAZAN, vgl. "ZCT" 5:21,1984) und Ofloxacin (TARIVID, vgl. "ZCT" 6:27,1985) insgesamt drei "Fluorchinolone" zur Behandlung von Patienten mit bakteriellen Infektionen zur Verfügung.

Strukturformel Ciprofloxacin (rot: Cyclopropylrest

Antibakterielle Eigenschaften

Wie die anderen Chinolone, so hemmt auch Ciprofloxacin das bakterielle Enzym Gyrase und wirkt durch diesen Eingriff in den bakteriellen DNA-Stoffwechsel rasch bakterizid. Von allen bisher bekannten und entsprechend untersuchten Chinolonen weist Ciprofloxacin bei fast allen Erregern die niedrigsten MHK90-Werte auf (minimale Hemmkonzentration, bei der mindestens 90% der untersuchten Stämme einer Bakterienart gehemmt werden). Nach den in vitro-Untersuchungen ist dieses Chemotherapeutikum eines der aktivsten antibakteriellen Medikamente mit breitem Spektrum, die heute in der Infektionsbehandlung zur Verfügung stehen. [1,2] Besonders empfindlich sind Hämophilus influenzae und die Enterobakterien E. coli, Klebsiella pneumoniae, Enterobacter aerogines und cloacae, Proteus-Arten, Shigella und andere werden bereits bei Konzentrationen von 0,02 bis 0,12 mg/l erfaßt. Die Hemmwerte für Pseudomonas aeruginosa und Serratia marcescens liegen mit 0,5 und 1,0 mg/l höher. Relativ gering ist die Wirkung im grampositiven Bereich: es sind etwa doppelt so hohe Konzentrationen notwendig, um auch Staphylokokken und Streptokokken zu erfassen.

Eine deutliche "schwache Stelle" im Spektrum stellen die anaeroben Erreger dar. Die MHK90-Werte für Clostridium difficile und Bacteroides-Stämme, die zur "non-fragilis"-Gruppe gehören, liegen z.B. bei 8 und 16 mg/l. Da derartig hohe Konzentrationen im Plasma nach therapeutischer Dosierung nicht erreicht werden, müssen diese Erreger als resistent bezeichnet werden.

Pharmakokinetische Eigenschaften

Ciprofloxacin kann entweder oral oder intravenös verabreicht werden. Nach oraler Gabe einer Einzeldosis von 250 mg können nach einer Stunde im Plasma Spitzenkonzentrationen von etwa 1,7 mg/l erwartet werden. Nach 500 und 750 mg liegen die Konzentrationen höher (2,3 und 2,7 mg/l), steigen aber offenbar nicht proportional an. [3,4]


Aus vergleichenden Untersuchungen zum Blutspiegel-verlauf der Konzentrationen nach oraler und intravenöser Gabe wurden - nach verschiedenen Dosierungen - Bioverfügbarkeitsquoten von 55 und 84% errechnet. Da die Bioverfügbarkeit eines Arzneimittels auch durch die galenische Verarbeitung des Wirkstoffes bestimmt wird, zu dem die Resultate bei unterschiedlicher Dosierung und mit unterschiedlichen Bestimmungsmethoden ermittelt wurden, überrascht die mangelnde Übereinstimmung der Angaben zur Bioverfügbarkeit von Ciprofloxacin kaum.

Die Eliminationshalbwertzeit wurde mit 3 bis 4,5 Stunden bestimmt. Wie alle bisher untersuchten Chinolone, so besitzt auch Ciprofloxacin ein sehr hohes scheinbares Verteilungsvolumen, das dem Mehrfachen des Körpergewichtes entspricht. Dies deutet auf eine gute Gewebepenetration - bzw. Anreicherung in bestimmten Kompartimenten - hin, was auch durch direkte Konzen-trationsbestimmungen in verschiedenen Körpergeweben bestätigt werden konnte. Die Proteinbindung im Serum liegt zwischen 25 und 40%.

Der Hauptanteil einer oral oder intravenös verabreichten Ciprofloxacin-Dosis wird unverändert über die Niere ausgeschieden, etwa 10 bis 20% werden als Metaboliten eliminiert. Die leicht unterschiedliche Zusammensetzung der Metaboliten und deren relativer Anteil im Urin nach oraler und parenteraler Gabe deuten auf einen begrenzten first-pass-effect in der Leber hin. Die übliche Tagesdosis liegt bei 2-mal 500 mg oral bzw. 2-mal 200 mg intravenös.

Therapeutische Anwendung

 

Während besonders die antibakteriellen, aber auch die pharmakokinetischen Eigenschaften der Neueinführung umfassend untersucht und gut dokumentiert sind, gibt es in der internationalen Literatur bisher nur wenige kontrollierte Studien, aus denen sich die eindeutige klinische Bedeutung des Ciprofloxacin schon jetzt ableiten ließe. Eine ähnliche Situation besteht allerdings auch bei vergleichbaren Präparaten. Eine kritiklose Transformation des beeindruckend breiten antibakteriellen Spektrums der Fluorchinolone zu einem "Indikationskatalog" ist sicher nicht sinnvoll. Die therapeutische Wirksamkeit muß in jedem Fall erst in klinischen Studien nachgewiesen werden. "Offen" durchgeführte klinische Studien an meist recht begrenzten Patientenkollektiven liegen für Ciprofloxacin bei zahlreichen Krankheitsbildern vor. Bei Harnwegs- und Atemwegsinfektionen, bei gastrointestinalen und bei genitalen Infektionen, bei Wundinfektionen und anderen Indikationen wurden "Heilungsquoten" mit Ciprofloxacin von oft deutlich mehr als 90% berichtet. Da bei einem zu weit gefaßten Indikationskatalog der Chinolone wohl bald mit neuen Problemen gerechnet werden muß (Resistenzentwicklungen, Nebenwirkungen), sollten Ciprofloxacin und ähnlich wirksame Chemotherapeutika nur bei komplizierten Harnwegs- und Atemwegs-infektionen durch gramnegative Erreger als therapeutische Alternative in Betracht gezogen werden. Auch bei schweren intestinalen und bei "ungünstig lokalisierten" Infektionen (z.B. Prostatitis, Osteomyelitis) stellen sie sicherlich eine therapeutische Bereicherung dar.

Da Ciprofloxacin sowohl zur parenteralen als auch zur oralen Verabreichung zur Verfügung steht, ergibt sich hier die Möglichkeit, schwerkranke Patienten initial parenteral zu behandeln und bei einer Besserung des Zustandes auf die orale Therapie überzugehen. Besonders attraktiv erscheint die Möglichkeit einer oralen Behandlung von Infektionen, die durch Pseudomonas aeruginosa ausgelöst werden. Vor allzu viel Optimismus muß allerdings gewarnt werden: bereits in den ersten klinischen Studien fiel eine rasche Resistenzentwicklung und Persistenz dieses "Problemkeimes" während der Behandlung auf. Diese Komplikationen sind bereits hinlänglich aus der parenteralen Pseudomonas-Therapie mit ß-Laktam-Antibiotika bekannt. Pseudomonas-Infektionen treten fast ausnahmslos bei Patienten mit schweren Grunderkrankungen auf - erst unter diesen Bedingungen kommt es zur Infektion. Da mit der antibakteriellen Chemotherapie die Ausgangssituation nicht geändert wird, muß grundsätzlich mit Persistenz des Erregers und mit Rezidiven gerechnet werden.

Toxizität und Nebenwirkungen


Aus den Daten von fast zweitausend Patienten, die mit Ciprofloxacin behandelt wurden, konnte eine Gesamtinzidenz von 9% Nebenwirkungen errechnet werden.[6] Das "Nebenwirkungsprofil" des neuen Chemotherapeutikums entsprach im wesentlichen den Angaben, die bereits bei anderen Chinolonen gemacht wurden. Gastrointestinale Störungen wie Völlegefühl, Appetitlosigkeit, Erbrechen und Magenschmerzen machen mit 4,5% den größten Anteil aus.

 

Am zweithäufigsten waren zentralnervöse Störungen (1,6%). Besonders diese Art unerwünschter Nebenwirkungen lassen sich nur schwer objektiv erfassen und der gegenwärtige Kenntnisstand über die tatsächliche Häufigkeit von Störungen wie Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Müdigkeit und Mattigkeit nach Ciprofloxacin-Einnahme läßt zu wünschen übrig. Es soll daran erinnert werden, daß die Häufigkeit dieser Symptome, wie sie in klinischen Studien ermittelt wurde, nicht ohne weiteres auf den ambulanten Bereich übertragen werden kann. Auch schwere ZNS-bezogene Nebenwirkungen (Krampfanfälle, Erregungszustände, Verwirrtheit und Halluzinationen) sind nach Behandlung mit Ciprofloxacin - wenn auch sehr selten - aufgetreten. In diesen Fällen ist die Frage der Kausalität oftmals sehr schwer zu beantworten: Wurden die beobachteten Reaktionen durch die Infektion verursacht oder durch das Medikament oder sind sie "spontan" aufgetreten? Offensichtlich sind ZNS-Unverträglichkeiten durch Chinolone vermehrt bei älteren Patienten (>70 Jahre) sowie bei zerebralen Vorschäden zu beobachten. Schließlich muß in 1-2% der Behandlungen mit Überempfindlichkeitsreaktionen (Exantheme, phototoxische Reaktionen) gerechnet werden.

 

Da Ciprofloxacin in neutralen und schwach alkalischen Lösungen schlecht löslich ist, wurden in toxikologischen Untersuchungen an Ratten und Affen nephrotoxische Reaktionen durch Auskristallisation des Wirkstoffes in den ableitenden Harnwegen beobachtet. Auch beim Menschen kann es unter Umständen zur leichten Kristallurie kommen. In den klinischen Studien ergab sich kein Hinweis auf ein besonderes nephrotoxisches Potential der Substanz unter therapeutischen Bedingungen; das Problem sollte jedoch bei einer routinemäßigen Anwendung weiterhin bedacht werden und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen (Flüssigkeits-zufuhr!) sollten eingehalten werden.


Ciprofloxacin verursacht ebenso wie andere Chinolone Schädigungen des Gelenkknorpels bei juvenilen Tieren. [7] Eine dreiwöchige Behandlung mit nicht allzu hohen Dosen (täglich 30 mg/kg oral) kann bei jungen Beagle-Hunden zur Zerstörung des Gelenkknorpels führen. Die Ätiologie dieses toxischen Effektes ist völlig ungeklärt. Aus den Befunden ergibt sich eine wichtige Anwendungsbeschränkung: schwangere und stillende Frauen sowie Kinder und Jugendliche bis zum Abschluß der Wachstumsphase dürfen nicht mit Ciprofloxacin behandelt werden!

ZUSAMMENFASSUNG

Ciprofloxacin (CIPROBAY) wirkt durch Hemmung des Enzyms "Gyrase" bakterizid gegen ein breites Spektrum bakterieller Erreger. Die höchste Aktivität besteht gegenüber Enterobakterien. Das Fluorchinolon kann parenteral und oral verabreicht werden. Nach der Resorption aus dem Gastrointestinaltrakt kommt es zu einem first-pass-effect in der Leber, etwa 10-20% der Substanz werden metabolisiert; der überwiegende Teil wird unverändert renal eliminiert. Das neue Chemotherapeutikum stellt bei der Behandlung von komplizierten Harnwegs- und Atemwegsinfektionen durch gramnegative Erreger sicherlich eine therapeutische Bereicherung dar; insbesondere ist die orale Behandlungsmöglichkeit von Pseudomonas-Infektionen hervorzuheben. Die Nebenwirkungen betreffen hauptsächlich den Gastrointestinaltrakt und das Zentralnervensystem. Während der Behandlung ist auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr zu achten, um nephrotoxische Effekte durch Kristallurie zu vermeiden. Da Chinolone bei juvenilen Versuchstieren Gelenkschäden verursachen, dürfen Schwangere, Kinder und Jugendliche nicht mit diesen Chemotherapeutika behandelt werden.

 

1 WOLFSON, J.S., HOOPER, D.C. Antimicrob. Agents Chemother. 28:581-586, 1985

2  HOOPER, D.C., WOLFSON, J.S. Antimicrob. Agents Chemother. 28:716-721, 1985

3 BERGAN, T., THORSTEINSSON, S.B. Proc. 1st Int. Ciprofloxacin Workshop, Excerptia Medica, 1986, S. 111-121

4 HÖFFKEN, G. et al. Antimicrob. Agents Chemother. 27:375-379, 1985

5 SCHACHT, P. et al. Proc. 1st Int. Ciprofloxacin Workshop, Excerptia Medica, 1986, S. 435-448

6 Editorial (Beilage 2): Münch med Wschr 128: 12-14, 1986

7 SCHLÜTER, G. Proc. 1st Int. Ciprofloxacin Workshop, Excerptia Medica, 1986, S. 61-70

 

Ergänzungen (Dezember 2009)

 

Seit der Erstellung und Veröffentlichung dieses Artikels in der Zeitschrift für Chemotherapie (Heft 6, 1986) sind zahlreiche weitere Arbeiten über Ciprofloxacin publiziert worden. Insbesondere soll an dieser Stelle auf die folgenden Arbeiten hingewiesen werden:

Hinweis: Hinweise und Empfehlungen zum rationalen Einsatz oraler Antibiotika bei Erwachsenen und Schulkindern (Lebensalter 6 Jahre) einer Expertenkommission der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e.V. siehe http://www.wissenschaftliche-verlagsgesellschaft.de/CTJ/CTJEMPF.HTM

 

DAVIS, R. et al. Drugs 1996 Jun;51(6):1019-1074.


Owens, R.C. et al. Med Clin North Am 2000;84(6):1447-1469.

 

GLOCKER E, STUEGER HP et al. Quinolone resistance in Helicobacter pylori isolates in Germany. Antimicrob Agents Chemother. 2007 Jan;51(1):346-9.

ZIMMERLI W, WIDMER AF et al. Role of rifampin for treatment of orthopedic implant-related staphylococcal infections: a randomized controlled trial. Foreign-Body Infection (FBI) Study Group. JAMA. 1998 May 20;279(19):1537-41.

BROUWERS EE, SOHNE M et al. Ciprofloxacin strongly inhibits clozapine metabolism: two case reports. Clin Drug Investig. 2009;29(1):59-63.

 

 

 

 

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