Rilpivirin - ein neues Virustatikum als Alternative zu Efavirenz

Unveränderter Text aus ZCT Heft 1, 2012
Aktuelle Ergänzungen am Ende des Textes

Hemmstoffe der reversen Transkriptase, die zur antiretroviralen Therapie angewandt werden, lassen sich in Nukleosid-Analoga (NRTI) und nicht-nukleosidische Verbindungen (nNRTI) einteilen. Zu den Wirkstoffen ohne Nukleosidstruktur gehört Efavirenz (SUSTIVA), das seit 1998 häufig therapeutisch angewandt wird. Zusammen mit zwei anderen Wirkstoffen [Emtricitabin (EMTRIVA) und Tenofovir (VIREAD)] ist es auch in Form der einmal täglich zu verabreichenden Dreierkombination ATRIPLA im Handel. Angesichts der großen Bedeutung einer regelmäßigen, zuverlässigen Einnahme der antiretroviralen Medikamente hat sich die Möglichkeit einer einmal täglichen Verabreichung als wichtige Voraussetzung für den Erfolg neuer Medikamente zur antiretroviralen Therapie erwiesen.

Ein neuerer, nicht-nukleosidischer Hemmstoff der reversen Transkriptase ist Etravirin (INTELENCE), ein Diarylpyrimidin, das im Jahr 2008 zur Behandlung bereits vorbehandelter Patienten zugelassen wurde. Durch Modifizierung dieser Substanz wurde Rilpivirin (EDURANT) entwickelt, das seit einigen Monaten als aktuellstes Arzneimittel zur Behandlung der HIV-Infektion zur Verfügung steht. Auch dieser Wirkstoff muss in Kombination mit anderen Substanzen angewandt werden, um eine rasche Resistenzentwicklung der Viren zu vermeiden. Die klinischen Studien, welche zur Zulassung führten, wurden mit nicht vorbehandelten Patienten durchgeführt.[1,2]

Eine dem Präparat ATRIPLA entsprechende Dreierkombination zur einmal täglichen Einnahme aus Rilpivirin in Kombination mit Emtricitabin und Tenofovir wird in Europa unter dem Handelsnamen EVIPLERA vermarktet (in den USA: COMPLERA).

Strukturformel Rilpivirin

Antivirale Aktivität

Rilpivirin ist wie Etravirin ein Diarylpyrimidinderivat, das an die reverse Transkriptase von HIV-1 bindet und das Enzym blockiert. Die Bindung erfolgt nicht direkt an das katalytische Zentrum der Transkriptase, sondern an eine benachbarte Stelle des Proteins. Es wirkt auch bei einigen Virusmutanten, die gegen andere NNRTI resistent sind. Dies könnte mit der Flexibilität des Moleküls zusammenhängen, das sich in Teilen drehen und sich innerhalb der Bindungstasche anpassen kann, wenn Mutationen vorliegen. In vitro zeigte Rilpivirin bereits im niedrigen nanomolaren Bereich oder sogar darunter eine Aktivität gegen HIV-1. Im direkten Vergleich war die Aktivität höher als die von Efavirenz oder Etravirin. Obwohl Kreuzresistenz zu anderen Stoffen mit ähnlichem Wirkmechanismus bestand, wurden mehr als 60% der untersuchten Efavirenz-resistenten Viren durch Rilpivirin gehemmt.[3]


Pharmakokinetische Eigenschaften

Rilpivirin wird in einer Dosis von 25 mg einmal täglich oral zusammen mit einer Mahlzeit verabreicht. Nach etwa vier Stunden werden maximale Plasmakonzentrationen erreicht. Die Bindung an Plasmaproteine ist mit 99,7% sehr hoch. Es wird mit einer Halbwertzeit von ca. 50 Stunden überwiegend in metabolisierter Form mit den Fäces ausgeschieden. In vitro-Studien zeigen, dass an dem oxidativen Metabolismus Cytochrom P450-Enzyme (CYP3A) beteiligt sind. Die Informationen über das pharmakokinetische Verhalten der Substanz bei Patienten mit eingeschränkter Leber- oder Nierenfunktion sind bisher unzureichend. Bei gering oder mittel ausgeprägter hepatischer oder renaler Insuffizienz wird eine Dosisanpassung aufgrund bisheriger Erfahrungen nicht für notwendig angesehen.[1]


Therapeutische Wirksamkeit


Da die Ergebnisse aus frühen klinischen Studien günstig ausfielen, wurde das neue Arzneimittel in zwei umfangreichen Phase-III-Studien im direkten Vergleich gegen Efavirenz bei zuvor unbehandelten HIV-infizierten Patienten untersucht. [2] In der THRIVE-Studie war es den Untersuchern freigestellt, welche Zweierkombination mit Rilpivirin (25 mg) oder Efavirenz (600 mg) zusammen gegeben wurde.[4] Zur Auswahl standen: 1. Emtricitabin und Tenofovir oder 2. Abacavir (ZIAGEN) und Lamivudin (EPIVIR) oder 3. Zidovudin (RETROVIR) plus Lamivudin. In der zweiten Phase-III-Studie, die unter dem Namen ECHO durchgeführt wurde, waren die Kombinationspartner festgelegt (300 mg Tenofovir und 200 mg Emtricitabin).[5] Die Medikamente wurden einmal täglich oral verabreicht. Insgesamt wurden in diesen beiden Studien 1.368 Patienten mit einer Viruslast von 100.000 Kopien / ml und 256 CD4+- Zellen / ml (Medianwerte) behandelt. Die Therapie war in der THRIVE-Studie bei 86% (Rilpivirin) bzw. 82% (Efavirenz) der Patienten erfolgreich, ein sehr ähnliches Ergebnis brachte die ECHO Studie.


Resistenzentwicklung in klinischen Studien

Bemerkenswerter Weise kam es in den beiden Phase-III-Studien bei 11% der Rilpivirin-Behandelten zu einem virologisch bedingten Therapieversagen.[2] In der Efavirenzgruppe lag dieser Wert bei 6%. Eine genauere Analyse der Daten zeigt, dass dies hauptsächlich Patienten betraf, bei denen zu Beginn der Behandlung eine sehr hohe Viruslast von mehr als 100.000 Kopien / ml vorlag (17% Rilpivirin, 7% Efavirenz). Die Viren mit Rilpivirinresistenz waren überwiegend auch gegen andere nicht-nukleosidische Inhibitoren resistent, so dass die gesamte Arzneimittelgruppe bei diesen Patienten praktisch nicht mehr angewandt werden konnte. Viren mit Resistenz gegen Efavirenz waren dagegen noch empfindlich gegen Etravirin. In beiden Studien wurden auch Resistenzen gegen Nukleosid-Analoga beobachtet. Auch diese Resistenz war unter den Patienten, die Rilpivirin erhalten hatten, häufiger als bei jenen, die mit Efavirenz behandelt worden waren.


Verträglichkeit, Interaktionen

Im Vergleich zu Efavirenz erwies sich Rilpivirin als die besser verträgliche Substanz. Unerwünschte Wirkungen, die zum Abbruch der Behandlung führten, waren unter Efavirenz häufiger (7% vs. 4%). Rilpivirin verursachte deutlich seltener Hautausschläge als Efavirenz (<1% vs. 9%) oder Schwindel (0% vs. 6%). Diese Ergebnisse der THRIVE-Studie wurden in der ECHO-Studie in ähnlicher Weise bestätigt. Beide Studien zeigten auch, dass die ungünstigen Veränderungen im Lipidstoffwechsel unter Rilpivirin weniger ausgeprägt waren als unter Efavirenz. Die Ergebnisse einer Phase-IIb-Studie, in der die Daten nach einer fast vierjährigen Behandlungsdauer ausgewertet wurden, bestätigt die insgesamt gute Verträglichkeit auch bei längerer Therapiedauer.[6]

Da Rilpivirin über das Cytochrom-P450-Enzym CYP3A verstoffwechselt wird, muss bei gleichzeitiger Gabe von anderen Arzneistoffen, die zu einer Induktion dieses Cytochroms führen, mit Interaktionen gerechnet werden. Als Folge könnte es zu Therapieversagen durch zu niedrige Arzneistoffspiegel kommen. Eine gleichzeitige Gabe von Carbamazepin (TEGRETAL u.a.) und einigen anderen Antikonvulsiva, Rifampicin (EREMFAT u.a.) und verwandten Antibiotika, Dexamethason (FORTECORTIN u. a.) und Johanniskraut-Präparaten ist daher kontraindiziert. Da die Resorption durch einen niedrigen pH-Wert im Magen reduziert wird, darf Rilpavirin auch nicht zusammen mit Protonenpumpeninhibitoren gegeben werden.

Da Efavirenz im Tierexperiment bereits bei einer Exposition im subtherapeutischen Bereich embryotoxisch ist, finden die entsprechenden reproduktionstoxikolo-gischen Studien mit dem neuen Transkriptase-Inhibitor besonderes Interesse. In Routinestudien zur Teratogenität wurde mit Rilpivirin auch bei einer im Vergleich zum Menschen deutlich erhöhten Exposition keine teratogene Wirkung beobachtet. Da jedoch eine Unsicherheit hinsichtlich einer möglichen teratogenen Wirkung beim Menschen bestehen bleibt, werden entsprechende Fälle in einem Register erfasst und prospektiv ausgewertet.


ZUSAMMENFASSUNG:

Mit Rilpivirin (EDURANT) steht ein weiterer Hemmstoff der reversen Transkriptase zur Therapie der HIV-Infektion zur Verfügung. Der Stoff besitzt strukturelle Ähnlichkeit mit Etravirin (INTELENCE) – beide sind Diarylpyrimidine und unterscheiden sich dadurch strukturell von anderen Wirkstoffen dieser Gruppe, wie zum Beispiel Efavirenz (SUSTIVA). Rilpivirin zeigt in vitro eine hohe antivirale Aktivität gegen HIV-1. Die pharmakokinetischen Eigenschaften erlauben eine einmal tägliche, orale Verabreichung. In zwei umfangreichen klinischen Studien erwies es sich als ebenso wirksam wie Efavirenz. Dabei wurden beide Substanzen in Kombination mit Tenofovir (VIREAD) und Emtricitabin (EMTRIVA) oder anderen Kombinationen verabreicht. Rilpivirin war ebenso wirksam wie Efavirenz, erwies sich jedoch als das deutlich besser verträgliche Arzneimittel. Exantheme und ZNS-Symptome traten seltener auf. Bei Patienten mit hoher Viruslast bei Behandlungsbeginn (> 100.000 Kopien / ml) kam es allerdings in der Rilpiviringruppe häufiger als bei den Efavirenz-behandelten Patienten zu einem Therapieversagen durch virale Resistenz. Sowohl die Resistenz gegen nicht-nukleosidische Wirkstoffe als auch gegen Nukleosid-Analoga war häufiger. Insgesamt bietet das neue Arzneimittel eine vielversprechende Möglichkeit, die antiretrovirale Therapie zu optimieren. Die Vorteile liegen vor allem im Bereich der Verträglichkeit. Mit der Dreierkombination EVIPLERA aus Rilpivirin, Emtricitabin und Tenofovir zur einmal täglichen Einnahme steht ein weiteres Kombinationsmedikament zur Initialtherapie von Patienten mit HIV-Infektion zur Verfügung.



1. EDURANT (Rilpivirine Tablets) Full Prescribing Information, Tibotec Pharmaceuticals, May 2011 (www.edurant-info.com)

2. SCHRIJVERS, R. et al.
Lancet 2011; 378: 201-203


3. AZIJN, H. et al.
Antimicrob Agents Chemother 2010; 54: 718-727


4. COHEN, C.J. et al.
Lancet 2011; 378: 229-237


5. MOLINA, J.-M. et al.
Lancet 2011; 378: 238-246


6. WILKIN, A. et al.
AIDS Res Hum Retrovir 2011; 27: 1-10


7. SANFORD, M.
Drugs 2012; 72: 525-541

 

Ergänzung (September 2014)

 

Hinweise:
 

1. HIV 2014 / 2015 - ein umfangreiches Buch ist unter hivbuch.de kostenlos als PDF-Datei verfügbar (809 Seiten, 4,43 MB)


2. Aktuelle Informationen in englischer Sprache über geeignete Arzneimittel, Behandlungsrichtlinien, aktuelle klinische Studien und andere Aspekte der antiretroviralen Therapie finden Sie unter www.aidsinfo.nih.go

 

 

Ergänzung (März 2018)

Juluca – ein neues Rilpivirin-haltiges Kombinations-präparat

 

Mit einer Kombination des Integraseinhibitors Dolutegravir und Rilpivirin, einem Hemmstoff der reversen Transkriptase, ist erstmals eine Zweifachtherapie der HIV-Infektion möglich. Das Kombinationspräparat JULUCA wurde am 22. März 2018 vom Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA (CHMP) zur Zulassung empfohlen. Die Zweierkombination ist geeignet zur Behandlung der HIV-1-Infektion bei Erwachsenen, die seit mindestens sechs Monaten stabil virologisch supprimiert sind. Das Arzneimittel wurde bereits im November 2017 von der US-amerikanischen FDA zugelassen.

 

EMA, Juluca (Dolutegravir / Rilpivirin), Summary of opinion (initial authorisation), 22 March 2018

 

 

Jetzt für den INFEKTIO letter anmelden und regelmäßig per E-Mail Wissenswertes aus Mikrobiologie, Arznei-mittelforschung,Therapie uvm. erhalten.

Informationen für Ärzte und Apotheker zur rationalen Infektionstherapie

Die Zeitschrift für Infektionstherapie (bis 2015: "Zeitschrift für Chemotherapie") erscheint im Jahr 2024 im 45. Jahrgang. Herausgeber und Redaktion sind bemüht, Sie kontinuierlich und aktuell über wichtige Entwicklungen im Bereich der Infektionstherapie zu informieren.

Druckversion | Sitemap
© mhp Verlag GmbH 2023